Montag, 11. Januar 2021

Wie wir uns geben - I. Die Kleidung

Angestoßen durch Frau Normanns Post über das Containing möchte ich mich in zwei Artikeln mit dem beschäftigen, wie wir uns als Psychotherapeuten geben. Teil eins widmet sich unserer Kleidung, Teil zwei (folgt...) unserer Inneneinrichtung.

Wie wir uns geben - Die Kleidung 

Es ist ja schon tragisch, dieser Mangel an Statussymbolen. Wie oft wünschte ich mir das vergoldete Stethoskop eines Allgemeinmediziners! Die eigene Legitimation, quasi Größe, so sichtbar zu tragen - einmal so wundervoll phallisch sein dürfen! Leider gibt es keine Stethoskope für die Seele. Vermutlich müsste es eher das vergoldete Utensil eines Klempners sein, um den häufig verwendeten Vergleich zu bemühen. So eine goldene Rohrzange der Seele würde mir schon gefallen. Für uns bleibt nur so etwas wie stilvolles Schreibutensil (die Kladde ist ja schon filmisch vor allem mit den PsychologInnen verbunden) oder eben: Kleidung und Einrichtung. 

Hierzu ein paar Gedanken und Beobachtungen, welche dem Axiom unterliegen, das wir so gern in unseren Sitzungen anlegen: Nichts ist zufällig.

Zunächst einmal sind wir ja nicht die einzige Berufsgruppe mit dem Problem. Ein schwarzer Rollkragenpulli, eine Baskenkappe und filterlose Gauloise machen ja auch keinen Philosophen. Mode hat ja vornehmlich den Sinn, eine Gruppenzugehörigkeit auszudrücken: Du bist, was Du trägst. Und so gibt es auch unter PsychotherapeutInnen immer wieder Versuche, sich in irgendeiner Art und Weise kenntlich zu machen als der einen oder anderen Gruppierung zugehörig.

Dabei geht es natürlich um mehr als darum, sich als PsychotherapeutIn zu zeigen, meist wollen wir auch noch zeigen, was für eine PsychotherapeutIn wir sind. In Zürich habe ich beispielsweise den Begriff der Analytikerbrille kennengelernt – und wirklich, es ist ganz erstaunlich, wie viele der psychoanalytisch tätigen KollegInnen zu mehr oder weniger runden Brillen neigen. Weltmännisch/frauisch wirkt hierbei die etwas dickere, schwarze Variante, oft kombiniert mit perfekt schwarzer Kleidung (die bei mir selbst nach drei Wäschen nicht mehr so aussieht, sondern mehr in ein gemustertes Anthrazit übergeht – für Tipps diesbezüglich wäre ich sehr dankbar). Besonders elegant erscheint mir das bei bereits ergrauten KollegInnen. Von einem Supervisor hörte ich einmal die schöne Geschichte von dem Kollegen, der sieben exakt gleiche Outfits hatte, damit die analytische Situation in keinem Fall gestört werde. Für jeden Tag dieselben Schuhe, dieselbe Hose, Hemd, Jackett und was nicht noch…
Dann gibt es die Funktionskleidungsträger (Frau Normann beschrieb sie vor allem mit Blick auf die Wanderschuhe). Generell erscheint es mir als Großstädter merkwürdig, gekleidet zu sein, als wollte ich jeden Moment zu einer zehntägigen Trekking-Tour starten. Aber vermutlich geht es hierbei nicht so sehr um das Wandern als mehr um die Aussage, dass mir Mode nicht so wichtig ist. Das Nützliche, Bequeme ist wichtiger. Sie zeichnen sich auch durch den Verzicht auf die Betonung des eigenen Geschlechts aus: In zweieinhalb Lagen atmungsaktiven Stoffs sind wir alle gleich. Bereit anzupacken und nicht unter dem Primat gesellschaftlicher Normen stehend! 

Eine Extremform dessen erscheint mir, was ich noch aus Encountergroups und von eher humanistisch geprägten TherapeutInnen kenne: Nicht so sehr Funktionskleidung; das Anpackende und Resolute wirkt abgeschwächter und der Aspekt der (kindlichen?) Bequemlichkeit mehr im Vordergrund: Weite Hosen, vielleicht etwas Filz und die merkwürdigsten Schuhe, die ich jemals sah. Vielleicht etwas sämisch wirkend, irgendwie indigen. 

Spannend erscheint mir vor allem, was das mit dem Männer- und Frauenbild macht. Bei den amerikanischen Kongressen habe ich einmal eine Vortragende erlebt, die über die Behandlung von essgestörten jungen Frauen referierte. Sie war sicherlich an die 60 Jahre alt und hatte einige „Kleinigkeiten machen lassen“: Straffe Gesichtshaut, auffällig volle Lippen und einiges mehr. Hinzu kamen Bluse, Blazer und ein kurzer Stiftrock zu hohen Schuhen. Ein Gegenbild zur Biederkeit der alten Welt, ein Affront im Angesicht aller trekkingbereiten KollegInnen, die mich begleiteten.

Wie so oft in der Tierwelt sind die Männchen meist unscheinbarer als die Weibchen. Seien wir ehrlich: Männermode ist immer eine traurige Sache. Meist scheint hier in der Ausbildung der Trend zum Jackett zu gehen. Anzüge wären auch affig. Aber Jacketts verleihen einen Hauch von erwachendem Selbstbewusstsein und zeigen den Versuch, seriös wirken zu wollen. Ich selbst bin darauf hängen geblieben: Mal „sportlich“ mit Jeans, mal seriöser mit Stoffhose.

Unter den eher wissenschaftlich orientierten Kollegen, worin ich das HIP einschließen möchte, scheint auch längerfristig die Hemd-Pullover-Kombi beliebt zu sein und man darf sich fragen, ob das in Abgrenzung zum „blue collar worker“ gedacht ist.

In den letzten Jahren bemerke ich bei mir selbst so eine Art Vergammlung: Ich ertappe mich, in meinem Sessel sitzend, mit einem streifig gewordenen, mittlerweile mehr anthrazitfarbenen als schwarzen Pulli (an gewagten Tagen ist er sogar dunkelgrün) und einer Jeans. Die Lederschuhe habe ich auch schon lang nicht mehr angehabt, aber wenigstens sind meine Sneaker noch schön weiss, um zu zeigen, dass ich in einer Großstadt lebe und weiß, was vor zehn Jahren (waren es zehn?) mal hip war. Ich habe immer noch ein paar Jacketts. Eins aus Tweet mit Ärmelschonern, das ich sehr liebe. Aber ich ziehe es seltener an. Eher, wenn ich Vorträge halte – wie die Tarnkappe der Märchen oder ein anderes, magisches Artefakt, dass meinen Worten mehr Gewicht verleiht und es mir ermöglicht, auch bei Unsicherheit ein wenig den Charme der Zugehörigkeit zu den Seriösen zu versprühen. Etwas Schutz kann ja nicht schaden…

Eigentlich schade, dass es nicht mehr Queeres, Buntes, Aufregendes gibt. Als würde ihm noch immer der Dünkel der frühen Störung anhaften. Den eh schon immer abgedroschenen Spruch, dass uns nichts Menschliches fremd sei, strafen wir durch unsere Kleidung Lügen.

Jan-Erik Grebe
HIP-Dozentenkreis
ehem. Jhg. 2010