Sonntag, 23. Januar 2022

Verständnisvolle Zwillingsschwestern (Über Sympathie und Empathie)

Beim Nachdenken über die psychotherapeutische Tätigkeit ahnt man eine gewisse Tragik des Berufsstandes. Wissen Therapeuten zu wenig, wie es sich anfühlt, mit der affektiven Befindlichkeit des Patienten in Resonanz zu treten, dann verstehen sie zu wenig von ihm und werden dessen persönliche Problematik nur bedingt nachvollziehen, unter Umständen nicht einmal korrekt diagnostizieren können. Sie nehmen zu wenig teil. Wissen Therapeuten stattdessen zu viel davon, weil es ihnen via Identifizierung mit den Nöten des Patienten selber so ergeht wie diesem, dann sind sie und ihre Arbeit über kurz oder lang gefährdet; denn das ständige Überschreiten und Rückgängigmachen der Ich-Du-Grenzen kann energetische Defizite und inhaltliche Unschärfen hinterlassen. Sie beobachten zu wenig. Eines ist dennoch klar: Ohne das „Wissen“ vom Seelenleben, einer theory of mind, sind weder eine theoretische Klärung seelischer Krankheitszustände noch eine hinreichende Fähigkeit im Umgang mit seelisch Kranken zu erwarten.



Doch was ist mit „Wissen“ eigentlich gemeint? Bei der Erörterung der sog. fremdseelischen Erkenntnis, beim Versuch also, das Verstehen zu verstehen, bietet sich ein Blick über den Tellerrand der akademischen Psychologie und Psychoanalyse an sowohl zur Neurobiologie als auch zur Philosophie. Beide Disziplinen zeigen, dass die alltagssprachlich oft konfundierten Begriffe „Mitgefühl“ und „Einfühlung“ unterschiedliche Formen der Erkenntnis meinen. In der Antike wurde diese Differenzierung vorgenommen als „Sympathie“ und „Empathie“.