Donnerstag, 25. April 2019

Hasenhaltung





In der Therapieausbildung wird viel über “Haltung” gesprochen. Eigentlich wird gar nicht so oft über Haltung gesprochen, wie das Wort “Haltung” erwähnt wird. Das Wort gehört zu den Schlagworten, die für mich unter dem Verdacht stehen, dass sie mittels Magie, durch bloßes Ausrufen einen wünschenswerten Effekt haben sollen, nämlich dass man die eigene Haltung als Therapeut bedenkt, schon wenn man nur “Haltung!” gerufen hat, also ein Wort zwischen Kommando und Zauberspruch. “Haltung” als Begriff bedeutet nicht nur die Art und Weise, den Körper, insbesondere das Rückgrat zu halten (also die Körperhaltung), nicht nur eine jemandes Denken und Handeln prägende innere (Grund-)Einstellung (was mit dem Begriff “Rückgrat” wiederum verwandt sein kann), nicht nur ein durch bestimmte innere Einstellung, Verfassung hervorgerufenes Verhalten/Auftreten oder eine am Verhalten/Auftreten ersichtliche Beherrschtheit (innere Fassung), sondern auch das Halten von Tieren/Menschen (Wiktionary). Darüber wie wir, Dozenten und Ausbildungsteilnehmer, es miteinander halten, wie wir uns aushalten oder wer wen wann zum Narren hält, wird  noch viel weniger gesprochen.




Im Seminar geht es um Sachthemen, da ist für diese Meta-Ebene, diese Beziehungsfragen kein Platz. Außerdem ist ein Seminar auch “keine Selbsterfahrung” (ein weiteres Zauberwort, das dieses Thema beendet, wenn es aufkommen sollte). Hinzu kommt die Asymmetrie in der Beziehung zwischen Dozent und Teilnehmer:
Der Dozent ist nicht nur älter (meistens) und erfahrener (hoffentlich), er könnte auch der Prüfer, Lehrtherapeut, Supervisor oder Arbeitgeber des Teilnehmers sein oder werden, was insgesamt die Teilnehmer eher eine Hasenhaltung einnehmen lässt (Schnauze nach unten, Löffel nach oben und immer süß gucken), während die Dozenten sich in der Hasenhaltung üben können (jeder im Einzelkäfig, Futter nach Ernährungsplan). 


Dozenten als Dienstleister
Das Aushalten der Hasenhaltung ist für die Teilnehmer unangenehm (nicht artgerecht?) - und wenn etwas dauerhaft unangenehm ist, braucht es Abwehr. So wird in einer Mischung aus Verleugnung, Verdrängung und Rationalisierung der Dozent gerne als Dienstleister gesehen, weil man als Teilnehmer ja freiwillig eine Ausbildung angetreten hat, für die man eine nicht unbeträchtliche Menge Geld jeden Monat bezahlt. Die Dozenten sind also von den Teilnehmern eingekauft, folglich stehen die Dozenten in der Schuld der Teilnehmer. Diese Rationalisierung funktioniert ganz gut, auch wenn kein mir bekannter Teilnehmer jemals den Ablauf des Curriculums allgemein oder den eines bestimmten Seminars beeinflusst hätte. Auch ist mir nicht bekannt, dass das Erscheinen oder Nicht-Erscheinen von Dozenten (Wahl oder Abwahl, direkte Beurteilung einer Dienstleistung) effektiv durch die Ausbildungsteilnehmer gesteuert wurde, weder durch Wortmeldung oder sonstige Einwirkung auf einen (nicht-existenten) Dienstleistervertrag. Der Versuch einer solchen Beeinflussung empfiehlt sich auch nicht, denn diese Realitätsprüfung könnte die Verleugnung (“Ich kann jederzeit auf die Umstände meiner Ausbildung einwirken, denn ich habe sie bezahlt!”) unwirksam machen. Außerdem müssen für die genannte Rationalisierung noch die (möglichen) kreuzweisen Verschränkungen der Dozenten mit anderen Funktionen verdrängt werden, denn diese machen kritische Bemerkungen möglicherweise zum Bumerang. 
Ohne behutsame Beziehungsarbeit, Stabilisierung und anteilnehmende Klärung muss eine solche Konfrontation (von uns Ausbildungsteilnehmern mit unserer Abwehr) Widerstand hervorrufen: Wir haben doch einen Vertrag (Ausbildungsvertrag)! Natürlich existiert der! Wir haben das Forum, da können wir uns jederzeit (einmal im Jahr) kritisch und offen äußern! Außerdem gibt es die Jahrgangssprecher!

Ja, wenn man das alles nicht nutzt, dann bleibt eben alles so, wie es ist, aber dann ist man auch selber Schuld! Bevor der Hase beißt, will ich nicht weiter auf die Unterschiede zwischen Werksverträgen für Dienstleister und Arbeitsverträgen eingehen, auch nicht auf die Probleme des Formats “Forum” und die Funktion der Jahrgangssprecher, die beide u.a. mit der Kreuzweise zu kämpfen haben und schon gar nicht auf eine womöglich geringe Beteiligung/Rezipiens dieses Blogs - mir geht es darum, die beiderseitige Hasenhaltung von Dozenten und Teilnehmern zu benennen, weil sie in Seminaren zu unangenehmen Situationen führt, wenn sie nicht bedacht wird.



Das wird man ja wohl noch!
Dozenten sind gelegentlich unzufrieden mit ihren Hasen, resp. Seminarteilnehmern: Sie (die Teilnehmer) beteiligen sich nicht (genug) und stöhnen, wenn man ihnen Hausaufgaben (Literatur) gibt. 50 Seiten bis zur nächsten Woche, das wird man ja wohl noch verlangen dürfen! Schließlich machen sie die Ausbildung ja aus freien Stücken, aus Interesse! Da muss ihnen doch an der Wirksamkeit der Ausbildung gelegen sein, die man durch rege Beteiligung und fleißige Literaturarbeit steigern kann! Doch hier hat der Kutscher den Hasen vorgespannt (alte Redewendung), so kommt man nicht in Fahrt. Den Teilnehmern bleibt die Spucke weg, bzw. die Karotte im Hals stecken, weil die beatmende Rationalisierung stockt, wenn der Dienstleister einen zur Arbeit treibt.  
Der Dozent tut seinerseits (sich selbst) wohl daran, die Teilnehmer als faul zu sehen, weil ein Bild als Hasenhalter womöglich nicht zu seinem Selbstbild passt. Externalisierung von Negativem ist in diesem Sinne prognostisch günstig, hält den Dozenten bei Laune, verdirbt sie aber auf der anderen Seite des Kaninchendrahts. Vielleicht wäre es doch günstig, wenn man, statt die “Selbsterfahrung” abzuwehren, doch ab und an die Gruppensituation samt Kreuzweise reflektiert. Man wird damit keine Asymmetrie aufheben können, aber vielleicht durch Löffelheben auf beiden Seiten die Laune bessern; denn mit “Störungen haben Vorrang” sind ja nicht gestörte Personen, sondern eine Störung des Systems gemeint. 


Arne Holst,
HIP Ausbildungsteilnehmer Jhg. 2016


2 Kommentare:

  1. Eine Beschreibung, die ich in einigen Seminaren sehr gut nachvollziehen kann. Chapeau Arne!

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  2. Der deutsche Untertanengeist lebt weiter, der Hase von Dürer! Aber es lockt ja die Karotte.

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