Freitag, 19. Oktober 2018

Bergsteigen lernen


"Von sich abseh´n lernen ist nötig, um viel zu sehn –
diese Härte tut jedem Berge-Steigenden Not" *


Das sogenannte Abstinenzgebot verlangt vom Psychotherapeuten, dass er sich während seiner Arbeit weder offen noch „undercover“ eigene Bedürfnisse erfüllt; nun werden die meisten in anderen Metiers arbeitenden Menschen an dieser Stelle anmerken, die Therapeuten sollten nicht soviel Wind darum machen, denn es sei wenig wahrscheinlich, dass ein Postbediensteter hinterm Schalter oder ein chirurgischer Chefarzt, der seit fünfeinhalb Stunden übermüdet in einer alkoholkranken Leber herumwurschtelt, sich arbeitend persönliche Bedürfnisse erfüllten. Aber so einfach ist die Lage nicht.

Mittwoch, 17. Oktober 2018

Aktuelle Überlegungen zur Abstinenz


Liebe Leserin, lieber Leser!
Abstinenz zu betrachten ist nicht einem bestimmten Themen- oder Personenkreis vorbehalten - weder dem Blickwinkel der katholischen Kirche, den gängigen Therapiekonzepten der Alkoholsucht, noch der Berufsgruppe der Psychotherapeuten. Im Grunde meint der Begriff der Abstinenz die Frage, ob und wie es gelingen kann, den Wunsch nach der Befriedigung eigener Bedürfnisse bei der Interaktion mit stofflichen oder nichtstofflichen Versuchungen zu erkennen und zum eigenen und/oder fremden Wohle herauszuhalten. Auch zwischenmenschliche Kontakte können Versuchungen sein – zu  Machtgier, Geldgier, Gier nach Anerkennung, nach Gebrauchtwerden, zur Suche von existentiellem Sinn oder von Sexualität.
Aus – nicht nur, aber auch – aktuellem Anlass haben wir, die Redaktion, beschlossen, bei der Publikation von Posts uns des Themas ‚Abstinenz in der Psychotherapie‘ zukünftig immer wieder einmal anzunehmen. Wir hoffen, damit einen Beitrag zu leisten, die Sensibilität hierfür wachzuhalten und unsere Leser, vor allem aber auch potentielle Schreiber zu ermutigen, sich Gedanken zur Abstinenz zu machen. Ihre Beiträge und Kommentare sind willkommen!
Wenn wir im Folgenden mit einem Post beginnen, der vorwiegend die nichtsexuellen Formen therapeutischer Abstinenz in den Blick nimmt, so wollen wir damit weder aktuell diskutierte sexuelle Formen der Grenzverletzung relativieren noch gar von ihnen ablenken. Wir wollen stattdessen einen möglichst breiten Raum eröffnen, in dem Abstinenz erkannt, betrachtet, diskutiert und … im therapeutischen Tun verwirklicht werden kann.

 „Hips Gedankengut“ - Die Redaktion

Montag, 1. Oktober 2018

Für mehr Bescheidenheit in der Psycho-Community




Wenn man Jahr für Jahr in Supervisionen, Intervisionen, Kasuistiken, Fokus-Runden, Teambesprechungen, Theorie-Seminaren und Fortbildungen sitzt, lernt man sehr viel Neues, sehr viel Interessantes, Bewusstseinserweiterndes, Aufrüttelndes, Spannendes und…man hört Kollegen reden.
Über Patienten. Über die Störung von Patienten. Und was sie mit dem „Therapeut machen“. Was sie nicht können, was sie vermeiden, was sie zerstören. Dann liest man Sätze in Arztbriefen wie „für seine strukturellen Fähigkeiten, kann er xy erstaunlich gut“, hört Kollegen entrüstet formulieren „da ist der Patient ja total oral-gierig. Der will ja immer nur nehmen“, „da bleibt er ja total in einer passiven Opferhaltung“, „da ist ja jede Mühe den Abfluss runtergespült“, „den kann man ja in seiner Männlichkeit nicht ernst nehmen“.
Natürlich versteht man, wo diese Affekte herkommen. Tag für Tag hockt man in 50-Minuten- Sessions Menschen gegenüber, die Dinge zerstören, Situationen vermeiden und der Therapeut hält aus, versteht, tut sein Bestes, um einzuordnen und verdaut zu markieren, zu verändern, zu helfen. 
Sauanstrengend. Und dann hat man Gott sei Dank die Supervisionen, die Intervisionen…
Aber manchmal bekomme ich dann doch das Gefühl, dass viele Therapeuten vergessen haben, dass sie auch nur ein Mensch sind. Dass sie auch nach 600 Stunden Lehranalyse in Vorträgen deutlich ihr narzisstisches Geltungsbedürfnis ausdrücken, leicht kränkbar sind, zu wenig emotionale Kontakte haben, weil sie sich nicht binden können, oder abends um 21 Uhr immer noch auf Station rumlungern, weil ihnen ihre zwanghafte Seite befiehlt, trotz 60 Überstunden den letzten Arztbrief auch noch rauszuschicken. Die in Pausen rauchen gehen oder so wenig essen und untergewichtig sind, dass sie von den magersüchtigen Patienten gefragt werden, „warum sollte ich zunehmen, wenn Sie doch so dünn sind wie ich“?
Ein bisschen mehr Bescheidenheit.


Elfrun Faude
HIP-Ausbildungsteilnehmerin Jhg. 2014