Eine Patientin, die bisher zwar zurückhaltend, aber gesprächsbereit war, kommt neuerdings in die Sitzungen und schweigt. Minutenlang. Gefühlt stundenlang. Die Sitzungen scheinen sich stets ins Unermessliche zu ziehen. Was würden Sie tun?
Nun, minutenlanges Schweigen der Patienten/ Analysanden (Couch-Setting) gehört zu meiner täglichen Praxis.
Kürzlich erzählte ein Kollege bei der Geburtstagsfeier eines Freundes (nicht ohne Stolz), dass er wochenlang mit einer Patientin geschwiegen habe.
Bei so viel Selbstüberzeugung wagte selbst ich nichts zu hinterfragen.
Erinnere ich mich an die letzte Sitzung mit einer berufstätigen Akademikerin, zwei Kinder: Ich höre vorher ihre Stöckelschuhe auf dem Asphalt vor meiner Praxis, sehr kräftig, schnell und zielgerichtet, Klingeln auf den Glockenschlag, Toilettengang. Ich mache nicht gleich die Türe zum Behandlungszimmer auf, damit die Analysandin „noch Luft holen kann“.
Frau X legt sich schnell auf die Couch, atmet tief aus, nimmt die Wolldecke und deckt sich zu. Schweigen. Etwa fünf Minuten... Ich sage: „Jetzt stelle ich mir gerade vor, wie anstrengend es für Sie war nach der langen Autofahrt hier erst einmal anzukommen ...“
Patientin: “Ja, ... es tut gut, einfach so eine Weile zu liegen und nichts zu denken“... Sie spricht dann später von ihrer Angst nach einer ärztlichen Voruntersuchung...
Eine zweite Patientin kommt mir in den Sinn. Sie ist sonst pünktlich, ich wartete zehn Minuten. (Die alleine lebende Rentnerin ist 75 Jahre alt, und ich dachte schon das Schlimmste.)
Herzliche Begrüßung, Schweigen. Fünf Minuten ...
Ich: „Sie denken vielleicht, ‚Frau Kremer möchte jetzt wissen, ob ich was verändert habe‘ ...“
Die Patientin: „Sehen Sie denn nichts?“ Ich: „Was könnte ich sehen?“
Patientin: „Dass ich mich für Sie schön gemacht habe.“
Ich: „O, ho!!!“ Wir lachen!!!
Die Patientin erklärt dann, dass sie bei der Kosmetikerin war und beim Anziehen zu viel Zeit brauchte. Thema ist dann die Angst vor Veränderung, aber mit der Kosmetikerin ist ein Anfang gemacht.
Auf was kommt es mir vielleicht mit diesen Beispielen aus der letzten Woche an? Es gibt keine Regel, aber vor allem das warmherzige Interesse und die Neugier auf Seiten der Therapeutin, des Therapeuten.
Und jetzt noch zwei Erinnerungen aus meinem Leben:
Zulassungsinterview bei einem DPV-Analytiker … Er schwieg 50 Minuten ...
Ein Kollege in der Psychiatrie. Er prahlte damit, dass er sich nach einer Weile von der schweigenden Patientin abgewandt habe, um mit seiner Arbeit am Schreibtisch fortzufahren ...
Er ist später Professor für Radiologie geworden.
30.03.2018
Dr.med. Renate Kremer,
HIP Dozentenkreis
Psychoanalytikerin
Gruppenanalyse
Heidelberg
Kürzlich erzählte ein Kollege bei der Geburtstagsfeier eines Freundes (nicht ohne Stolz), dass er wochenlang mit einer Patientin geschwiegen habe.
Bei so viel Selbstüberzeugung wagte selbst ich nichts zu hinterfragen.
Erinnere ich mich an die letzte Sitzung mit einer berufstätigen Akademikerin, zwei Kinder: Ich höre vorher ihre Stöckelschuhe auf dem Asphalt vor meiner Praxis, sehr kräftig, schnell und zielgerichtet, Klingeln auf den Glockenschlag, Toilettengang. Ich mache nicht gleich die Türe zum Behandlungszimmer auf, damit die Analysandin „noch Luft holen kann“.
Frau X legt sich schnell auf die Couch, atmet tief aus, nimmt die Wolldecke und deckt sich zu. Schweigen. Etwa fünf Minuten... Ich sage: „Jetzt stelle ich mir gerade vor, wie anstrengend es für Sie war nach der langen Autofahrt hier erst einmal anzukommen ...“
Patientin: “Ja, ... es tut gut, einfach so eine Weile zu liegen und nichts zu denken“... Sie spricht dann später von ihrer Angst nach einer ärztlichen Voruntersuchung...
Eine zweite Patientin kommt mir in den Sinn. Sie ist sonst pünktlich, ich wartete zehn Minuten. (Die alleine lebende Rentnerin ist 75 Jahre alt, und ich dachte schon das Schlimmste.)
Herzliche Begrüßung, Schweigen. Fünf Minuten ...
Ich: „Sie denken vielleicht, ‚Frau Kremer möchte jetzt wissen, ob ich was verändert habe‘ ...“
Die Patientin: „Sehen Sie denn nichts?“ Ich: „Was könnte ich sehen?“
Patientin: „Dass ich mich für Sie schön gemacht habe.“
Ich: „O, ho!!!“ Wir lachen!!!
Die Patientin erklärt dann, dass sie bei der Kosmetikerin war und beim Anziehen zu viel Zeit brauchte. Thema ist dann die Angst vor Veränderung, aber mit der Kosmetikerin ist ein Anfang gemacht.
Auf was kommt es mir vielleicht mit diesen Beispielen aus der letzten Woche an? Es gibt keine Regel, aber vor allem das warmherzige Interesse und die Neugier auf Seiten der Therapeutin, des Therapeuten.
Und jetzt noch zwei Erinnerungen aus meinem Leben:
Zulassungsinterview bei einem DPV-Analytiker … Er schwieg 50 Minuten ...
Ein Kollege in der Psychiatrie. Er prahlte damit, dass er sich nach einer Weile von der schweigenden Patientin abgewandt habe, um mit seiner Arbeit am Schreibtisch fortzufahren ...
Er ist später Professor für Radiologie geworden.
30.03.2018
Dr.med. Renate Kremer,
HIP Dozentenkreis
Psychoanalytikerin
Gruppenanalyse
Heidelberg
Da ich tiefenpsychologisch fundiert arbeite, begreife ich das Schweigen als Widerstand, der sich dem (begrenzten) Behandlungsziel entgegenstellt. Es geht also um eine Widerstandsanalyse: Ich möchte zunächst klären, ob es sich um einen bewussten oder unbewussten Widerstand handelt, thematisiere das Schweigen (Konfrontation) und frage ggf. nach, wie es sich für die Patientin anfühlt, in dieser Phase zu schweigen (Klarifikation).
Je nach Reaktion kann damit die Situation schon geklärt sein, wenn z.B. die Patientin sich über eine Äußerung von mir geärgert hat, es von alleine aber nicht angesprochen hätte, da sie mich idealisiert oder gemäß ihrer neurotischen Struktur Liebesentzug / Ablehnung / Strafe erwartet. Selbstverständlich benötigt es dann neben einer möglicherweise indizierten Entschuldigung meinerseits (so meine Intervention, die den Ärger der Patientin erzeugt hat, unangemessen war) eine Deutung der Übertragung, die der Patientin ein Ansprechen des Ärgers verunmöglicht hat.
Sollte der Widerstand, der sich im Schweigen ausdrückt, unbewusst sein, gilt es, dieses Phänomen genauer zu explorieren: Wie genau fühlt sich das Schweigen für die Patientin an? Was war in der Sitzung, die dem Beginn des Schweigens vorausging, besprochen worden? Was ist in der Zwischenzeit im Leben der Patientin passiert? Welche therapiebezogenen Wünsche, Gefühle, Bedürfnisse oder Phantasien sind derzeit in der Patientin aktiv? Erfahrungsgemäß sollte durch diese Art der Widerstandsanalyse eine Klärung und letztlich Deutung des Schweigens zu erlangen sein, was einen Fortschritt des therapeutischen Arbeitens ermöglicht und es ermöglicht, zur Bearbeitung des Behandlungsfokus zurückzukehren.
25.03.2018
Sara Schneider,
Dipl.-Psych.,
Bensheim
Sara Schneider,
Dipl.-Psych.,
Bensheim
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Very interesting topic, appreciate it for putting up.
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