Sonntag, 17. Juli 2022

Heiß heute!

Patientin: „Es ist heiß heute.“ Therapeutin: „Ja, wir haben Klimawandel.“

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Diese kleine Sequenz diente auf der diesjährigen HIT-Sommertagung zum Thema „Klima & Psyche - zur Relevanz des Klimawandels in der Psychotherapie“ gleich zweimal als Beispiel, wie man in der Psychotherapie ein Angebot machen kann, über den Klimawandel zu sprechen. Die Interaktion wirkte auf mich erstmal ungewohnt, wenn nicht befremdlich. Letztlich hat sie mich weiter zum Nachdenken angeregt: Was ist es, das da irritiert, gar Unbehagen auslöst und wie könnten wir noch anders damit umgehen?

Als psychodynamisch denkende Psychotherapeuten sind wir besonders darauf geschult, verschiedene Bedeutungsebenen in Hinblick auf unbewusste Botschaften zu reflektieren und in der Therapie entstehenden Beziehungsdynamiken im Blick zu haben. Daher sollten derartige Interventionen auf die für die Patienten vorrangingen Themen und inneren Konflikte abgestimmt sein. Eine Patientin, die der Therapeutin gefallen möchte oder zu dieser idealisiert aufschaut, könnte sich besonders unter Druck fühlen, das Thema aufzugreifen. Dabei hat sie vielleicht aktuell ganz andere Themen auf dem Herzen. Der Einstieg war ihrerseits vielleicht einfach eine noch eher unbefangene Kontaktaufnahme über geteilte Realitäten: „heiß heute“ als „Eisbrecher“, weil es ihr schwerfällt, gleich ans „Eingemachte“ zu gehen und über sich und die wirklich „heißen Themen“ zu sprechen. Möglicherweise schwang auch eine erste Botschaft über einen anstrengenden Alltag mit, im Sinne von „Puh, bin erschöpft und dann noch die Hitze“. Im Hintergrund steht vielleicht auch ein regressiver Wunsch „Jetzt im kühlen See schwimmen wäre schön“ oder eine vorwurfsvolle Enttäuschung „Nicht mal im Therapieraum bin ich vor der Hitze geschützt“. Manchmal lohnt es, die Äußerungen genau auf sich wirken zu lassen.

Die Reaktion der Therapeutin setzt einen Fokus weg vom Individuum und der unmittelbaren therapeutischen Situation hin zu einer Realität außerhalb des geschützten Therapieraumes. Aber sie erwidert nicht nur „Ja, es ist ein heißer Sommertag.“ Dies wäre mehr ein unmittelbares Anknüpfen im Sinne einer gemeinsamen Verständigung. Stattdessen verknüpft sie die von der Patientin angesprochenen Hitze mit dem Klimawandel. Zwar besteht hier in Bezug auf die globale Erwärmung auf übergeordneter Ebene ein Zusammenhang. Aus der Sequenz kann man aber zunächst nicht herauslesen, dass die Patientin darauf anspielte. Dadurch wirkt es etwas forciert. Eine Tagungsteilnehmerin fragte, ist dies nicht übergriffig, wenn Therapeuten ihnen wichtige gesellschaftliche Themen in die Therapie einfließen lassen? In diesem Fall gab es zwar einen Aufhänger, aber keine Einladung hierzu. Die Therapeutin steuert den Prozess in eine bestimmte Richtung. Dabei mag es nur bei dieser einen Aussage bleiben, die Patientin muss dies ja nicht aufgreifen. Da die Therapeutin eine Realität benennt, ohne damit eine klare politische Botschaft zu senden, finde ich ihre Antwort legitim – quasi eine Spielart therapeutischer Möglichkeiten. Kontrovers ist sie dennoch, und es bleibt sehr wichtig, dass die Therapeutin hier kein Eigeninteresse befriedigt oder etwas überstülpt, sondern erspürt, ob dies ein für die Patientin bedeutsames Thema darstellt.

Therapeuten können und sollten in der Therapie über das tatsächlich Gesagte ihrer Patienten hinausdenken: Was will sie oder er mir damit (unbewusst) mitteilen? Dabei können Sie ihre Patienten auch mal überraschen oder Themen ansprechen, die aus ihrer Sicht bisher zu kurz gekommen sind. Psychodynamisch geschulte Therapeuten achten auf Unbewusstes, Abgewehrtes: „Worum geht es, wenn die Patientin über scheinbar Nebensächliches wie das Wetter spricht?“ Dabei wird in der Regel ein Thema im therapeutischen Raum gesucht – innerpsychisch oder interpersonell. Was sind die unbewussten aggressiven und libidinösen Botschaften? Anstatt den Klimawandel in den Blick zu nehmen, könnte dann über vielfältige Bedeutungen hinter der angesprochenen „Hitze“ nachgedacht werden. Symbolisiert sie mehr die Spannung im Raum? Ist da Angstschweiß? Erregung? Was brodelt da innerlich? Eine entsprechende Antwort könnte dann sein: „Ja, es wurde in der letzten Stunde etwas hitzig zwischen uns.“ In diesem Fall würde die Therapeutin auf die Gefühle in der therapeutischen Beziehung fokussieren. Eine deutende Verdichtung, die auch überrumpeln kann.

Jede Intervention kann weitreichende Implikationen haben, einige Phantasien anstoßen und die Übertragungsbeziehung beeinflussen. Die Therapeutin denkt bei Hitze an den Klimawandel. Dahinter steht auch eine Selbstoffenbarung. Der Klimawandel scheint für sie eine größere Bedeutung zu haben. Vielleicht übernimmt die Therapeutin für die Patientin von nun an innerlich die Position eines moralischen Richters, welcher mögliche klimaschädlichen Handlungen der Patientin verurteilt. Die Patientin könnte sich in Zukunft gehemmt fühlen und Schuldgefühle haben, wenn sie von ihrer geplanten Fernreise erzählt. Die Therapeutin könnte als vielleicht älteres, privilegiertes Gegenüber im Kontext eines Generationenkonflikts auch zur Projektionsfläche werden und Wut und Enttäuschung auf sich ziehen. Vielleicht gerät die Therapeutin aber auch in die Rolle einer Gleichgesinnten oder Verbündeten. Möglicherweise ist die Patientin erleichtert, eine politisch interessierte Therapeutin zu haben und erfährt, dass auch diese Themen in der Therapie einen Platz haben. In jedem Fall aber muss die Wirkung erspürt und reflektiert werden. Hierzu gehört es auch, die eigene Haltung zu bedenken und in Hinblick auf die eigene Gegenübertragung zu prüfen. Was stößt bei mir auf fruchtbaren Boden, was wirkt zunächst fremd oder löst gar Abneigung aus? Oder berührt einen das Thema gar nicht?

Gesellschaftlich unterliegen wir ja beim Thema Klimawandel einer Art kollektiven Abwehr. Daher wäre es auch die Aufgabe der Therapeutin, die Bedeutung nicht zu verleugnen. Aus dem Tagungs-Publikum kam der etwas kecke Vorschlag, man könnte den Klimawandel ja ähnlich wie die Sexualität behandeln. Wenn Patienten in längeren, meist psychoanalytischen Behandlungen nie über sexuelle Themen sprechen, so würde dies ja auch angesprochen. Analog dazu könnte man dann sogar ohne Anlass formulieren: „Mir fällt auf, dass das Thema Klimawandel hier bisher noch keinen Platz hatte.“ Zumindest ein spannender Gedanke: Welche Themen sind heutzutage so relevant, dass ihr Fehlen aufhorchen lässt? Im Kontext der Covid19-Pandemie habe ich mich durchaus gewundert, wenn das Thema in Therapien nie zur Sprache kam. Dies habe ich manchmal auch angesprochen. Beim Klimawandel geht mir das anders. Wieso eigentlich? Die krisenhafte Situation ist nicht so unmittelbar erlebbar, schleichender und doch könnte das schnell kippen und die Auswirkungen sind ja durchaus existentiell bedrohlich. Im Kontext einer allgemeinen krisenhaften Situation mit einem Krieg in Europa und wachsenden Konfliktherden bietet es sich an, auch den Raum für damit verbundene Gefühle und Reaktionen zu öffnen. Vielleicht könnten wir hier mutiger sein, mal offen zu fragen „Wie geht es Ihnen denn mit dem aktuellen Weltgeschehen?“ Die jeweilige Psychodynamik beeinflusst hierbei selbstverständlich die Verarbeitung, frühe Ängste können spürbar und verstehbar werden. Therapeutisch geht es auch um die Balance, zwischen Realangst und neurotischer Angst zu unterscheiden. Der Therapieraum ist dabei zumindest keine abgeschlossene Kapsel, innere und äußere Realitäten beeinflussen sich wechselseitig – dafür sollten wir uns immer wieder sensibilisieren.


Sabrina Berens
HIP Dozentenkreis
ehem. Jhg. 2016

3 Kommentare:

  1. Nach der von Ihnen angesprochenen Tagung bin ich an der genau gleichen dort aufgeworfenen Idee gedanklich hängengeblieben: als TherapeutIn den Verweis auf den Klimawandel zu machen. Danke für die reichhaltige Auffächerung der psychodynamischen Facetten, die dieser scheinbar harmlose Verweis haben kann. Besonders beschäftigt mich immer noch die Frage (die auch während der Tagung aufgeworfen wurde), ob es ganz ohne Moral bzw – notfalls externalisiertes – Überich funktionieren kann, Klimabewusstsein und entsprechendes Verhalten zu erreichen. Anders gesagt, wie viel Überich verträgt an dieser Stelle die Gesellschaft, wächst sie daran oder wehrt sie kollektiv umso mehr ab, wie Sie schreiben. Und wie verhält es sich damit auf der individuellen Ebene, im Sprechzimmer der Therapeuten? Das zu erörtern wäre m.E. einer weiteren Tagung würdig.

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  2. Renate Kremer 21.7.22 Erstaunt war ich, dass ich auf die Tagung, die Sabrina Behrens zu ihrem Thema für den HIP Blog auswählt, von meiner Generation , meinen seit vielen Jahren vertrauten Kollegen, niemand entdeckte. . Schon warte ich darauf, dass ich es nicht 100% richtig mache. Bei meiner analytischen Arbeit mit Frauen und Männern dient aktuell das Thema Klima häufig der Abwehr, sozusagen "zum Einstieg". Das kennt jede Psychotherapeutin und der Psychotherapeut auch.
    Heute war ich in einer Gymnastikgruppe auf einer Wiese und 10 Frauen und 2 Männer kamen trotz der Temperatur, und "die Hitze" war bei den Frauen Thema, und es wollte nicht aufhören. Auch hier diente das Klima der Annäherung, ich hörte gar einen begeisterten, durchaus leidenden Unterton. Nun, auch in einer psychoanalytischen Sitzung ist "das Wetter" ein wunderbarer "Einstieg" , ein "besonderer Moment in der Begegnung" (orientiert an Michael Balint), um miteineinander etwas zu entdecken, was dem Bewusstsein bisher vielleicht noch recht fremd war. Ich denke an die O h n m a c h t , die Konfrontation mit den Mühen und dem Verzicht im Alltag in diesen Zeiten mit C o r o n a , K r i e g und K l i m a So der Titel meiner Corona Begegnungen, heute No. 265. Wer sie lesen möchte, kann mir schreiben: renate.kremer@t-online.de
    Fahrradfahrend, ohne Auto und ohne Flieger grüßt Renate Kremer
    Fahrradfahrend und zu Fuß ohne Auto und ohne Flieger grüßt Renate Kremer.
    Wer sie lesen möchte, kann mir schreiben. renate.kremer@t-online.de

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  3. Dominik Ohlmeier10. August 2022 um 09:38

    Danke Ihnen Frau Berens für dieses „Nachdenken“ zur Tagung. Meines Erachtens geht es um eine grundsätzliche Bereitschaft die Impulse und Gefühle der Patient*Innen bezüglich der Klimakrise aufzugreifen, nicht um eine Indoktrination, die die Abstinenz verletzt.
    Dazu gehört für mich die eigene Betroffenheit wahrzunehmen (die alle Menschen immer mehr spüren werden) und die eigenen Abwehrmechanismen zu verstehen, um Sie nicht im therapeutischen Rahmen ausagieren zu müssen.
    Ich entdecke wie Sie ebenfalls Parallelen zum Umgang mit der Pandemie und anderen gesellschaftlichen Themen wie Rassismus und Sexismus. Wir sind alle mehr oder weniger betroffen (nach der Ausbildung meines Erachtens oft privilegiert in unseren Therapiesesseln) und können nicht „nicht kommunizieren“, also werden als Therapeut*In mehr als politischer Mensch sichtbar, als uns bewusst (und vertraut) ist.
    Sehr erhellend zum Thema finde ich auch dieses Interview mit Sally Weintrobe zur Einbettung des Themas in einen größeren Rahmen: https://www.psychologie-heute.de/gesellschaft/artikel-detailansicht/42148-wie-kann-es-sein-dass-ihr-nicht-mitbekommt-was-hier-passiert.html?fs=e&s=cl
    Viele Grüße aus dem ICE nach Paris
    Dominik Ohlmeier

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