Donnerstag, 25. Januar 2018

Fragen fragen I



Ein Patient umgeht es seit Wochen, ein vereinbartes Ausfallhonorar zu zahlen. Jedes Mal, wenn er darauf angesprochen wird, weicht er aus. Sie fragen ihn schließlich noch einmal direkt, und er sagt, er sehe das gar nicht ein, er fände das ungerecht. Wie gehen Sie damit um?



Ich würde versuchen, die Bezugnahme auf den Rahmen und die therapeutische Ebene in gewisser Weise zu verbinden, ohne aber die Grenzen zu verwischen. 
Ich würde ihn ernst nehmen und zunächst daran erinnern, dass wir die Vereinbarung zu Beginn der Therapie getroffen haben und ihm sagen, dass mir Transparenz wichtig ist, wozu auch gehört, Vereinbarungen über den Rahmen der Therapie im Vorfeld klar und transparent gemeinsam zu treffen, damit er selbst frei entscheiden kann, ob er sich hierauf einlassen möchte, und sich auch darauf verlassen kann, dass die getroffene Vereinbarung von beiden Seiten eingehalten wird. Nun scheint er aber doch eine andere als die vereinbarte Reaktion erwartet zu haben.
Dafür würde ich mich interessieren und mit seinem Einverständnis versuchen, gemeinsam mit ihm sein Erleben und sein Gefühl der Ungerechtigkeit zu verstehen, natürlich auch im Hinblick auf die therapeutische Beziehung.

Ich würde weder sein Verhalten vorschnell deuten, noch an der Vereinbarung etwas ändern.


28.20.2018
Barbara Becher, Dipl.-Psych.,
Lübeck
HIP- ehem. Jahrgang 2010



Ich würde - natürlich augenzwinkernd - sagen: "Mir fällt gerade ein, wie mein Vater immer sagte: 'Das Leben ist eins der Beschissensten'. Da konnte ich mich unglaublich ärgern."
Und wenn's in Gottes Namen grad weniger der Moment für Humor wäre, würde ich wohl sowas sagen wie:
"Ja, das verstehe ich. Sie arbeiten hier hart und geben so viel von sich preis - und dann sollen Sie auch noch dafür bezahlen! - Das kann man wirklich ungerecht finden."


25.01.2018
Tamara Lewin, Lic. phil.,
psychoanalytische Psychotherapeutin, Zürich






Ich freue mich darüber. Gewiss, erst einmal ist es für mich als Psychoanalytikerin unangenehm, einen Patienten auf ein noch nicht bezahltes Honorar hinweisen zu müssen. Es ist einmal vorgekommen, dass mir eine Analysandin über 3 Monate lang das Honorar nicht bezahlt hat. Möchte ich das ansprechen, muss ich zunächst aufpassen, dass ich nicht ungehalten werde, oder wie wir Psychoanalytiker sagen, dass ich nicht selbst „agiere“ – dass ich mich in meinem Handeln nicht unreflektiert von meinen Gefühlen leiten lasse, dass ich nicht unbewusst meine Gegenübertragung aushandle, indem ich zum Beispiel meinen Ärger ausdrücke oder mir ein mahnender Ton entwischt. Damit würde ich die entsprechende Rolle einnehmen, die das Verhalten des Patienten nahelegt; statt zu verstehen, worum es geht, würde ich mich möglicherweise daran beteiligen, einen unbewussten Konflikt des Patienten zu wiederholen.
Der Umgang mit Übertragung und Gegenübertragung in der Psychoanalyse ist jedoch paradox: Obwohl ich als Psychoanalytikerin möglichst versuchen soll, meine Gegenübertragung nicht auszuhandeln, ist ein solches unbewusstes Aushandeln gleichzeitig willkommen. Wenn es passiert, freuen wir Psychoanalytiker uns und packen das Unbewusste beim Schopf. Eine wunderbare Bemerkung Freuds (1912) gibt dazu Aufschluss: „... schliesslich kann niemand in absentia oder effigie erschlagen werden.“ (S. 167-168). Man kann niemanden erschlagen, der abwesend ist, beziehungsweise, der nur auf einem Bild, einer Effigie, zu sehen ist. Dementsprechend kann der unbewusste Konflikt nur greifbar werden, wenn er gegenwärtig ist. Die Aussage Freuds illustriert ein zentrales Konzept der Psychoanalyse: Damit ein unbewusster psychischer Konflikt verstanden werden kann, muss er sich reaktualisieren, am besten in der psychoanalytischen Beziehung zwischen Analytiker und Analysand. Dies ist der Grund, warum wir Psychoanalytiker, wenn wir in eine solche unangenehme Situation kommen, uns selbst trösten und ermutigen damit, dass das ja genau das ist, was wir wollen, denn es bringt unsere psychoanalytische Arbeit voran.
In einer solchen Situation sage ich mir also: „Ok, Alba, nur Mut, das ist nun der unbewusste Konflikt, wir haben ihn endlich auf der Couch – frisch und analysebereit! Du sprichst das jetzt an!“ Meine Antwort auf seine Frage, warum er denn das Ausfallhonorar bezahlen solle und auf seine Bemerkung, das sei ungerecht, könnte in sachlichem Ton etwa so lauten: „Herr Soundso, wir haben zu Anfang der Analyse die Vereinbarung getroffen, dass Sie ausgefallene Stunden bezahlen, nun erleben Sie das als ungerecht. Können wir uns die Zeit nehmen, und versuchen zu verstehen, welche Bedeutung das für Sie hat und was genau Sie als ungerecht erleben? Und ob damit etwa noch anderes im Zusammenhang steht, das Sie als ungerecht erleben, von dem wir noch nicht gesprochen haben? Vielleicht ist da ja noch anderes, das sich nun durch ihren Ärger über das Ausfallhonorar ausdrückt...“ Mit dieser Haltung helfe ich nicht nur dem Analysanden, sondern auch mir selbst dabei, „im Verstehen zu bleiben“. Ich gebe einer Situation, die scheinbar rein praktischer Art ist, eine psychische Bedeutung und eröffne damit das Gespräch für neue Erlebensbereiche: Woher kommt sein Gefühl von Ungerechtigkeit? Was bringt er damit in Verbindung? Welche Situationen? Welche Erinnerungen?
Mit der Analysandin, die mir über drei Monate lang das Honorar nicht bezahlt hatte, kamen wir zum Schluss, dass Sie mich damit unbewusst provozieren wollte (dazu gab es noch andere Hinweise in dieser Phase der Analyse). Was sie dabei herausfinden wollte, war, ob ich auch dann noch mit ihr arbeiten würde, ob ich mich auch dann noch für sie interessieren würde, wenn sie mir ihre wirklich „schwierigen Seiten“ zeigen würde. An der Situation mit dem Honorar inszenierte sich ein unbewusster Konflikt: Der Wunsch, sich anzuvertrauen, unerfüllte Bedürfnisse und psychisch Schmerzhaftes offen zu legen, war mit ihrer Angst im Widerstreit, dass, wenn sie das tut, die Menschen, die ihr lieb sind, erschrecken, sie missbilligen und sie ablehnen. Die Analysandin wollte nicht nur von mir hören, sondern in der Tat erfahren, ob ich auch in schwierigen Situationen weiter den Wunsch habe, mit ihr zuarbeiten, oder ob ich dann genug von ihr habe.
Zum Glück hat die Psychoanalyse ein unbeirrbares Vertrauen in das Unbewusste: Es verschafft sich immer Gehör – wenn nur jemand da ist, der zuhört.



Freud, S. (1912/2000). Zur Dynamik der Übertragung. In A. Mitscherlich, J. Strachey & A. Richards (Hg.), Sigmund Freud Studienausgabe, Schriften zur Behandlungstechnik (Ergänzungsband). Frankfurt a.M.: S. Fischer.

12.12.2017
Alba Polo, Dr. phil., 
Zürich


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