Dienstag, 5. Februar 2019

Fragen fragen IV


Eine Patientin erklärt Ihnen in der ersten Probesitzung auf die Frage, ob sie sich nach dem Erstgespräch noch Gedanken gemacht habe, „nein, nicht so direkt. Meine Freundin hat mich gefahren und wir haben dann die Gelegenheit genutzt, noch zusammen shoppen zu gehen“.




Die Probatorik dient unter anderem der Überprüfung der Indikation (zur TP) und Motivation der Patientin. 
Daher lasse ich die Aussage wahrscheinlich nicht „ungenutzt“ liegen, sondern interveniere zunächst klarifizierend: D.h. ich lasse mir die Situation des Shoppens, die Umstände und Motive der Verabredung und den emotionalen Zustand der Patientin direkt nach der Sitzung und dann im Kontakt mit der Freundin genauer beschreiben. Ggf. - je nach Strukturniveau und Beziehungsfähigkeit - gebe ich auch eine Probedeutung (Widerstandsdeutung). Z.B. (falls sich durch die Klarifikation diese Hypothese verschärft hat): „Könnte es sein, dass Sie die Ablenkung benutzt haben, um sich nicht weiter mit dem hier besprochenen Thema und der damit verbundenen Angst [Trauer / Wut] auseinander setzen zu müssen?“ Und dann vielleicht (im Sinne des informed consent): „Wenn wir einen Therapieantrag stellen, wird es unvermeidlich sein, dass wir auch über diese Themen sprechen und es kann sein, dass es Ihnen damit erstmal nicht besser oder phasenweise sogar schlechter geht, weil schmerzvolle Gefühle aufkommen und bearbeitet werden. Trauen Sie sich das in Ihrer momentanen Lebenssituation zu?“
Natürlich würde ich auch fragen, ob sie auch im weiteren Wochenverlauf nicht wieder an die Sitzung gedacht hat und falls nein, warum nicht (das wäre wiederum Klarifikation und „Motivationsprüfung“).

23.03.2019
Sara Schneider,
Psychologische Psychotherapeutin,
Bensheim


Zu dieser Frage fällt mir spontan eine Intervisionsgruppe mit einer Kollegin ein, bei der wir viel gelacht haben. Eigentlich habe ich die Kollegin überreden wollen, selbst etwas dazu zu schreiben, aber sie meinte leider, sie sei „nicht gerade eine Schreiberin“.
Wir hatten vor vier Wochen ausführlich über eine Erstbegegnung geredet, die sie mit einem, wie sie glaubte, „ziemlich narzisstischen“ Mann geführt hatte. Er war in einem künstlerischen Beruf tätig, hatte seit vielen Jahren Probleme mit Depressionen und in seinen Partnerbeziehungen. Wir hatten überlegt, ob er besser in einem tiefenpsychologischen oder analytischen Setting behandelt werden sollte. Wir tendierten schließlich zu einem analytischen Vorgehen und sie hatte vor, ihm das in der zweiten Sitzung vorzuschlagen. 
Als wir uns kürzlich wieder in unserer Gruppe trafen, fragte ich die Kollegin, wie es mit dem Künstlergenius weiter gelaufen war. Sie erzählte, sie hätte ihn gleich beim nächsten Termin gefragt, ob er sich nach dem Erstgespräch noch irgendwelche Gedanken gemacht habe. Da habe er seinen Kopf in den Nacken gelegt und überlegt, so als müsse er sich erst einmal in Ruhe an ihrer beider erste Begegnung erinnern, und dann sinniert: „Ach, nein! Wissen Sie, ich bin ein Mensch, der nie grübelt.“ Da habe sie sich gedacht: ‚Na, dann warte mal ab, mein Freund; wie gut, dass ich mich bei dir für eine deftige Portion Übertragungsdruck entschieden habe!‘

21.02.2019
Doris Normann
HIP Dozentenkreis



Ja, diese Frage in der zweiten probatorischen Sitzung ist mit einem erheblichen Risiko befrachtet. Nicht nur für den Therapeuten, denn er möchte doch wichtig sein und wahrgenommen werden, besonders mit seinen psychotherapeutischen "Spezialitäten". Denn die tiefenpsychologische Therapie, die Psychoanalyse oder die Gruppentherapie gibt es ja nicht umsonst… Immerhin ist die Patientin zum zweiten Gespräch gekommen und hat nicht  abgesagt, oder einfach "geschwänzt".
Also am Anfang des zweiten Vorgespräches  lieber eine Frage als ein  erwartungsvolles oder gelangweiltes Schweigen?  
Nun, manchmal darf die Therapeutin oder der Therapeut am Anfang auch eine Weile den Mund halten. Nicht schlecht, aber die meisten Patienten schauen mich dann schon nach kurzer Zeit auf eine Weise an, die mich an den liebeshungrigen Blick meiner Hündin erinnert. Und nicht nur Liebe wird erwartet, sondern "Leckerli", was meint, den Dauerhunger stillen. 
Ja, und wie anfangen? Erst einmal "Vielleicht"? ...Na ja, "Vielleicht gibt es noch den einen oder anderen Gedanken nach dem ersten Gespräch?" Und ich höre: "Nein, nicht so direkt". Und das höre ich meistens… Und dann an Ihrem Beispiel: "Die Freundin hat mich gefahren, und wir haben die Gelegenheit genutzt, noch zusammen shoppen zu gehen." Mag sein, die Patientin in diesem Fallbeispiel kommt von außerhalb, und dann ist Heidelberg ja ein Eldorado fürs Shoppen. Ehrlich gesagt, hätte mich das näher interessiert: "Shoppen…?" Ich denke gleichzeitig, dass sich die noch recht junge Frau, ich schätze sie auf um die 30, immerhin selbst versorgen kann. Sie hat eine Freundin, und die beiden Frauen können sich nach der Begegnung mit einem Psychotherapeuten noch etwas Gutes gönnen, was sie sich selbst aussuchen können. Vielleicht wurde der Therapeut empfohlen, wer weiß von wem? Das soll auch eine Bedeutung haben. 
Denn Frau weiß ja nicht im Voraus, was sie bei so einem Psychologen erwartet. Ich werde auch meistens als Psychologin angesprochen, obwohl auf dem Schild vor dem Eingang zu meiner Praxis deutlich zu lesen ist, dass ich auch Ärztin bin.  Ich erinnere mich an die eigenen Erstgespräche, die ja zur psychotherapeutischen und psychoanalytischen Ausbildung gehören. Und deshalb ist ja die Selbsterfahrung so wichtig. Wie habe ich mich da gefühlt, was habe ich nicht alles erlebt? Ach, ich könnte ein kleines Buch schreiben: „Meine Erstgespräche", frei nach Thomas Bernhards kleinem Buch "Meine Preisel", das ich gerne empfehle. 
Ja, so ein erstes Gespräch könnte ja auch ganz schrecklich ausgehen. Und dann gehört es sich einfach, dass eine Freundin das Auto fährt und dann auch tröstet, wenn es nötig ist. 
Ja, und wer kann einer Frau schon mehr bieten als eine Modeboutique?? Mich würde diese Aussage nicht irritieren, ich könnte mir Gedanken zu der ersten Begegnung mit dieser Frau machen, denn jetzt steht die Frage an, "was hat die Therapeutin nach dem ersten Gespräch noch behalten, hat sie überhaupt zugehört? Hat sie sich hoffentlich, auch in ihrer Freizeit, noch Gedanken zu mir gemacht??... Dafür hat sie doch keine Zeit, denn da kommt doch gleich der nächste Patient." Vielleicht arbeitet der Therapeut in einer kostengünstigeren Gemeinschaftspraxis mit Wartezimmer. Und überhaupt, was bedeutet es, wenn die Patientin sogar einen Fragebogen im vorab ausfüllen musste. 
"Dann könnte der Therapeut ja mal eine Zusammenfassung geben, wenn ich so viel "geliefert" habe. 
Vielleicht hätte ich die Patientin sogar gefragt: "Und haben Sie etwas Passendes gefunden"...? Und meine weiteren Gedanken: "Bin ich überhaupt ,passend' für diese Patientin? Entspreche ich der aktuellen Mode? Was muss ich bezahlen, wenn ich kaufe?" 
Und besonders wichtig: Was erinnere ich aus dem Erstgespräch???


05.02.2019
Dr.med. Renate Kremer,
HIP Dozentenkreis
Psychoanalytikerin
Gruppenanalyse
Heidelberg

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