lockeres Stroh, noch nicht festgetreten |
Wow! Ein beziehungsdynamischer Kracher wurde kurz nach Ostern in diesem Blog präsentiert, diesmal zur Beziehung zwischen Ausbildungsteilnehmern und Dozenten, der das attraktive David-versus-Goliath-Thema scharfzüngig aufgreift, das Ganze auch noch verfasst von einem Ausbildungsteilnehmer.
In der Redaktion dachten wir noch, wenn dazu keine Reaktionen kommen, in Form zahlreicher Kommentare, geschweige denn weiterer Posts… dann wissen wir auch nicht, wie wir Ausbildungsteilnehmende (und übrigens auch Dozenten) häufiger zum Schreiben bewegen könnten. Heute, über zehn Wochen nach Erscheinen, hat der Google-Dienst ANALYTICS bereits stolze 450 Klicks gezählt, mit freundlicher Unterstützung des E-Mail-Informationsverteilers ‚psychoanalytische Ressourcen‘.
Mein ursprünglicher Vorsatz war, als Redaktionsmitglied eine eventuelle Leerstelle hinsichtlich weiterer Posts oder Repliken zum Thema... auf keinen Fall später in diesem Blog selber zu füllen. Denn der Blog war ja einst mit dem Gedanken ins Leben gerufen worden, ein Medium für die Ausbildungsteilnehmer und auch für die anderen verschiedenen Beteiligten der Ausbildung zu werden, und nicht für die Redaktion.
Andererseits bin ich ja auch seit knapp 30 Jahren Dozentin, stehe also auf der anderen Seite des Kaninchendrahts, und habe in mehreren Ausbildungsinstituten viele Seminare plus zahlreiche Fallbesprechungen geleitet. Da kommen bei einem Dozenten ebenfalls Eindrücke zusammen, nicht nur bei den Teilnehmern. Einige dieser Eindrücke fand ich im Text von Herrn Holst, wenngleich in anderem Gewand, wieder. So dass ich meinen Vorsatz hiermit über Bord werfe.
Was mir als Erstes auffiel, nachdem ich in die Ausbildung eingestiegen war, war ein neues Wort: hilfreich. Es wurde extrem häufig gefeedbackt in Form des Hinweises, dieses oder jenes sei hilfreich gewesen. Das Wort hatte ich zuvor gar nicht in meinem aktiven Wortschatz beherbergt. Überhaupt fiel mir auf, dass es eine besondere und unantastbare Höflichkeit gab. Die habe ich mir, hoffe und fürchte ich zugleich, im Laufe der Jahre auch angewöhnt. Aber was mich als Dozentin noch mehr beschäftigte, waren nicht – vermutlich teilweise generationsspezifische – Verhaltenscodices der Seminarteilnehmer, sondern die strukturell verankerte Pflicht, sich für jedes Seminar evaluieren zu lassen. Natürlich weiß ich, dass die Qualitätssicherung in die Didaktik Einzug gehalten hat (Gott sei Dank). Aber dass es darum geht, wie ich als Dozentin bin, und nicht darum, wie die Auszubildenden sind, musste ich als Mitglied der Generation „Babyboomer“ erst mal auf den Schirm bekommen. Von wegen Tierzucht! Zwar hat mir mal ein früherer Lehrer beigebracht, dass man um anonyme Post sich keinen Kopf zu machen brauche, aber dennoch habe ich artig alles gelesen, Evaluationsblatt für Evaluationsblatt. Ich habe versucht, im adrenalinschwangeren Nachseminarstress mir in Windeseile auf einer Treppenstufe sitzend zu merken, was da so stand, bevor ich es in den Hausbriefkasten steckte. Insgesamt erfährt man durch die Blätter nicht so arg viel. Struktur kommt gut an. Übersicht auch. Das kann ich mir angesichts des Daten-, Schulen-, Lehrbuch-, Richtlinien- und Instagram-Gewirrs, in dem sich heutzutage Auszubildende bewegen müssen, gut vorstellen. Nun muss man für meine Seminarthemen nicht begleitend lesen, das schafft Sympathien, höchstens ein von mir aufbereitetes zusammenfassendes Handout, das haben dann doch, auf Nachfrage (ist so eine Frage eigentlich zu lehrermässig?), gelegentlich zwei oder drei Teilnehmer gelesen. Und sie fanden es ausnahmslos hilfreich. Da die schriftliche Evaluation, die zwar meistens sehr freundlich ausfällt, aber nur begrenzt aussagekräftig ist, weil sie ja bei Lichte betrachtet nur das ‚s‘ (satisfaction) misst und nicht die über das Dozentenego hinausgehenden, aber auch nicht gerade unwichtigen Parameter ‚l, b, r‘ (learning, behaviour, results) abzubilden vermag, fragt man manchmal noch mündlich nach, lädt also vorsichtig zu Kritik und Erfahrungsaustausch ein… Da gibt es dann ein bis zwei Hasen, pardon, die etwas dazu anmerken. Jedenfalls manchmal.
Was ich allerdings anders sehe, als dies Herr Holst in seinem Beitrag anscheinend unterstellt: die reale oder phantasierte Machtdiskrepanz scheint mir nicht als Erklärung der Dynamik auszureichen. Die Macht der Dozenten ist… vorsichtig ausgedrückt, doch eher gering. Die der Supervisoren und Lehrtherapeuten auch. Die Macht der Ausbildungsleitung kann ich nur von außen beurteilen (ebenfalls deren mir hoch erscheinende Arbeitsbelastung), aber meinem Eindruck nach ist deren Macht zumindest klar begrenzt. Bei den Abschlussprüfungen könnten die Wirkmächtigen, die allerdings ja selber Hasen sind und hierauf in der Prüfungsverordnung mit Paragraphengewalt noch einmal hingewiesen werden, einen aber nochmal richtig reinreiten!? Mir scheint dies eine zwar schlüssige, aber dennoch die Haltungsprobleme nur bedingt herleitende Idee, wenngleich sie interessante archaische Bilder schlummernder kaninchenfressender Wildtiere nahelegt - eines Ungeheuers, das sagt, wo es langgeht, oder das dem Lernenden die Verunsicherung in Form einer erbarmungslosen Registrierkasse projektiv abnimmt. Nach meiner Wahrnehmung geht es auf beiden Seiten des imaginären Bretterverschlags aber vordringlich um etwas anderes: darum, ganz bewusst und systematisch eigene und fremde Kränkungen zu vermeiden. Aber wie könnten wir ein solches Ziel erreichen, ohne zu verstummen und die Löffel anzulegen? Und vor allem: sollten wir es überhaupt verfolgen? Kränkungen sind wie Dynamit, sie können einen dazu bringen, jahrzehntelang einen bestimmten Ort oder Supervisor nie mehr aufzusuchen, ein Therapieverfahren während der eigenen professionellen Entwicklung für immer links liegen zu lassen, eine Psychotherapie als Patient oder Therapeut abzubrechen… Aber sie können auch strukturprägend etwas voranbringen, wie uns die Ichpsychologie lehrt. Bei den Therapieplänen taucht das Thema ja auch wiederkehrend auf wie in einer jener tibetischen Gebetsmühlen, in Form der Kränkungstoleranz und der sogenannten Selbstwertregulation. Da könnten wir alle doch mal bei uns selbst damit beginnen, diese zu verbessern. Und uns darauf besinnen, dass konstruktive Kritik lernbar ist (zumal auch dringend gebraucht beim Intervenieren) und sich unterscheiden lässt von hatespeech, cybermobbing und shitstorm. Dann würden sich weniger Dozierende als unreflektierte Deppen und Ausbildungsteilnehmende als schlafende Dornröschen im Einzelkampf durch verunsichernde Zeiten wühlen müssen.
Am Ende meines ins Kulturkritische driftenden Beitrags nun aber noch eine Anerkennung. Es gab einen freundlichen Kommentar zu Herrn Holsts Beitrag, und dieser… war nicht anonym, nur halb. Das ist neu. Danke an den Kommentatoren „Matt“. Und natürlich an den Autoren von „Hasenhaltung“. Da scheint sich etwas zu bewegen. Raschelt es etwa im Stroh?
Doris Normann
HIP - Dozentenkreis
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