Jetzt muss ich mal etwas über FREUD & Co. loswerden, obwohl ich das eigentlich gar nicht wollte, da seit Generationen ständig alle Dozenten etwas über FREUD & Co. loswerden müssen. Freuds in Wien verfasste Schriften waren schon rein sprachlich ein solcher Genuss, dass sie den Goethe-Preis verdienten. Da er Jude war, wurde er während der ersten Blütephase der neuen Psychologie allerdings vertrieben. So mussten er und viele andere seiner Kollegen ihre Koffer packen und zogen in letzter Minute nolens volens nach London, New York, Buenos Aires oder sonst wohin um – doppelt verfolgt, weil die Nazis sowohl die Juden als auch die Psychoanalyse als gefährlich einstuften. In der Fremde schrieben FREUD & Co. gemäß des ihnen innewohnenden wissenschaftlichen Entwicklungstriebes emsig weiter, aber verlegen konnten sie die Texte erst einmal nur in englischer Sprache. Damit begann ein gewisses didaktisches Unheil. Nach dem Krieg hat man das Ganze - deutsch gedacht, englisch aufgeschrieben - dann wieder ins Deutsche rückübersetzt. Man hätte den Meister lieber selber fragen sollen, aber der war mittlerweile alt und krank und außerdem galt es eine Weile lang als chic, Psychoanalysetexte nicht im deutschen Original zu lesen (deutsche Sprache = Hitlersprache). Nur die Franzosen wieder mal, die Grande Nation, haben selbstbewusst eigens ein Buch kreiert mit dem Titel Traduire Freud, in dem sie über 5000 Begriffe in ihrer geliebten Muttersprache festklopften. Jedenfalls ist es nicht nur bei Freuds Texten, sondern auch bei jenen seiner nachfolgenden Kollegen, die englische Muttersprachler waren, zu manchem Übersetzungsirrtum mit enormer psychohygienischer Tragweite gekommen; ein besonders dramatischer ist der mit dem Container. Das Containerwort hat man später gleich in der deutschen Übersetzung so stehen lassen, als modischen Anglizismus. Leider lässt es in unserer Umgangssprache eher Müllsammlung assoziieren. Sein Urheber, der Objektbeziehungspsychologe Bion, musste während des ersten Weltkrieges wehrhaft unter Kanonenhagel mit einigen anderen Soldaten in einem Panzer herumfahren, insofern scheint seine bildhafte Wortwahl naheliegend. Seither quälen sich allerdings die werdenden Therapeuten mit einem moralinsauer erhobenen Container-Zeigefinger herum, welcher ihnen zu bedeuten scheint, dass sie alles, was in der Sitzung mit dem von Erinnerungen und Affekten geplagten Patienten zur Sprache oder anderswie zum Ausdruck kommt, in sich hineinlaufen lassen sollen, so wie ein guter Container eben. Der gute Therapeut nimmt alles in sich auf. Und dann, wohin damit? Die materiellen Container, z.B. für Flaschen, werden ja regelmäßig geleert. Danach beginnt die systematische Wiederverwertung und Aufbereitung. Wenn wir diese Metapher kurz weiterspinnen und uns der hochinteressanten, bücherfüllenden Frage der weiteren psychologischen Verstoffwechselung an diesem Punkte entziehen („In reifer Form verarbeiten!“ – „Anverdauen!“ – „Selektiv-authentisch offenbaren!“), ist es doch wohl erlaubt, auch einmal den ästhetischen Gesichtspunkt zu betrachten.
Wenn du in einen Laden gehst, findest du zahlreiche Mülleimer, in verschiedenen Farben, oft mit Edelstahl kombiniert, Hochglanz oder matt, es gibt außerordentlich elegante und auch hochpreisige Modelle, die Deckel sind meistens diskret mit dem Fuß bedienbar, andernfalls mit einem lautlosen sogenannten Swingdeckel, der dich allerdings vor die Aufgabe stellt, bei unhandlicheren Abfällen dann doch kurz in Handberührung mit dem ganzen Elend zu geraten. Manche recht voluminös daherkommenden Teile haben sogar die Option einer integrierten Mülltrennung (Kategorien: schlimm, da zu destruktiv/normal/wiederverwertbar). Aber jeder weiß, wie so ein Teil nach mehrmonatigem (von den Spuren eines jahrzehntelangen Berufslebens einmal ganz zu schweigen) Gebrauch aussieht: befleckt, verbappt, mit Resten von nicht gezielt genug geworfenem Entsorgungsmaterial versehen, tangential gestreift von unappetitlichen und unerklärlichen Überbleibseln des Lebens. Der Glanz ist weg, die Grundfarbe auch, die Metallteile oxydieren mit der Zeit und sehen aus wie Omas alter Silberschmuck, den du nach Jahren zu feuchter Kellerlagerung findest und von dem du dich fragst: ehrlich oder höflich handeln?
Das dem Containerbegriff zugrundeliegende Verb to contain heißt nicht nur aufnehmen oder - in seiner intransitiven Bedeutung noch dramatischer bezüglich der zu Ende gedachten Folgen für die Identität eines Therapeuten - beinhalten; werfen wir einen Blick ins englische Wörterbuch*, dann bedeutet es auch halten, umfassen, eingrenzen, in Schach halten (zum Beispiel einen Feind), auffangen, eindämmen oder auch im Zaume halten. Vom oben ausführlich abgehandelten Abfalleimer war nie die Rede. Aber wie soll sich davon ein langjährig studierter und danach nochmals langjährig ausgebildeter Mensch überzeugen, der nun endlich "helfen" möchte? Diesen Menschen nennt man dann in belesenen objektbeziehungspsychologischen Kreisen ein „gutes Objekt“. Sein Gesicht ist oft tief zerfurcht, dafür naturbelassen, man soll ja zuhören, nicht sich zurechtmachen, Kleidung und Schuhe sind oft auffällig praktisch und robust, als beabsichtige man, in Zeitnähe bei rauen Windverhältnissen eine Wanderung zu beginnen (vielleicht ja eine unbewusste Präventionsstrategie zum Vermeiden hoher Reinigungskosten, falls das Material aus ihm oder dem Patienten aufgrund eines Überdruckes doch noch einmal unkontrolliert herauswuppt?). Wenn ich so ganz tief in mich hineinhöre, achtsam mit mir selbst bin und fest in meine Mitte hinspüre, dann meine ich zu merken, ich brauche bei dieser Thematik dringend frische Luft! Und für die unverdrossene Verteidigung feinen Schuhwerks habe ich ohnehin eine Schwäche, schon vor Ergreifen dieses Berufes.
* www.dict.leo.org
Doris Normann
HIP – externer Dozentenkreis
Verzeihung, aber in der Tat weiß ein jeder Mensch, "wie so ein Teil nach mehrmonatigem (von den Spuren eines jahrzehntelangen Berufslebens einmal ganz zu schweigen) Gebrauch aussieht: befleckt, verbappt, mit Resten von nicht gezielt genug geworfenem Entsorgungsmaterial versehen, tangential gestreift von unappetitlichen und unerklärlichen Überbleibseln des Lebens. Der Glanz ist weg, die Grundfarbe auch, die Metallteile oxydieren mit der Zeit und sehen aus wie Omas alter Silberschmuck, den du nach Jahren zu feuchter Kellerlagerung findest und von dem du dich fragst: ehrlich oder höflich handeln?"
AntwortenLöschen- So ziemlich jeder Mensch weiß das, denn das geht so ziemlich jedem Menschen so, nicht nur PsychotherapeutInnen.
Das Leben - also alle Kontakte mit anderen Menschen - beflecken, verbappen, streifen, verfärben, verbeulen, haften ihm manchmal bereichernd an und beschädigen oft den Menschen.
Glauben Sie mir, das geht fast allen Menschen so.
PsychotherapeutInnen allerdings basteln da gern aus den ungenutzten Praxis-Taschentüchern einen hysterischen Selbstverblendungsschirm, hinter dem sie Schutz suchen.
(Dann unterläuft ihnen übrigens gern auch so ein Baby-Sprech wie hier über Freud: "Da er Jude war, wurde er während der ersten Blütephase der neuen Psychologie allerdings vertrieben." - Verzeihung, aber wie krude kann Ihre Geschichtklitterung eigentlich noch ausfallen?!
Freud hat diese "Blütephase" nicht als hilfloser Vertriebener miterlebt - Freud hat die Pflanze "neue Psychologie" geschaffen und zum Blühen gebracht! Und als Begründer der "neuen Psychologie" namens Psychoanalyse und als Jude wurde er von den Nazis erst verbrannt in Gestalt seiner Bücher und dann verjagt.)
So etwas passiert PsychotherapeutInnen, die "helfen" wollen, wie Sie es in Ihrem Blog-Beitrag für die ganze Zunft reklamieren, meistens.
Wie gut, dass es da noch andere gibt!
Solchen, die der/m PatientIn nicht gemäß der sozialpädogogisierten Doktrin "helfen" wollen, sondern die gemeinsam mit der/m PatientIn und immer noch im Angedenken an Freud erkennen wollen, solchen passiert das fast nie (= mittelhochdeutsche Ironie).
Einen gut verheilden Hallux valgus wünscht Ihnen verbunden mit besten Grüßen
Dr. Corinna Laude, immer auf flachen Sohlen unterwegs
Liebe Leserin,
Löschendanke für Ihren ausführlichen Kommentar und Ihre Auseinandersetzung mit dem Container - Thema! Dass es den meisten Menschen so ergeht wie dem Container, ist ja genau das Dilemma; da sehe ich die Therapeuten nicht anders oder gar über den Nichttherapeuten stehend, sondern genau mit den gleichen inneren Voraussetzungen ausgestattet. Denn wir alle, ob Therapeuten oder nicht, haben Spiegelneuronen, leiden mit, reagieren und lassen uns berühren. Ich glaube aber, dass Therapeuten, ähnlich wie z.B. Erzieher, Geistliche und andere Berufsgruppen, gerade deswegen noch zusätzliche (wohlverstandene) berufsbezogene Konzepte und auch Fertigkeiten benötigen, damit sie jenseits der "menschlichen" ubiquitären Reaktionsweisen genügend innere Räume offen halten, um therapeutisch wirksam zu werden und bleiben zu können. Denn sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, neben ihren eigenen privaten Kontakten und ihrem "ganz normalen Leben", das Sie beschreiben, zusätzlich dauerhaft beziehungsintensive Arbeit zu leisten. Über ein solches, m.E. immer wieder neu durchzudenkendes Konzept wollte ich mit dem Container-Beitrag zum Nachdenken anregen.
D.Normann