Dienstag, 6. Dezember 2016

Ausfallhonorar: ein alter Zopf?




Verkörperung  harmloser  Oralität



Mit Geld lässt sich manches bewerkstelligen, aber nicht jede Schwierigkeit lösen. Das Ausfallhonorar in der psychotherapeutischen Praxis empfinde ich als einen Zopf aus der Vorzeit,
als Psychoanalytiker über ihren Patienten nicht nur die Deutungshoheit beanspruchten (allein zu wissen, was der Patient wirklich, d.h. unbewusst  meint), sondern auch die Verfügung über Behandlungstermine und Urlaubszeiten und in diesem Zusammenhang das Recht auf ein Ausfallhonorar, falls Patienten sich nicht nach der therapeutischen Decke strecken. Damals legten Therapeuten auch Wert darauf, sich das monatliche Honorar bar in die Hand geben zu lassen.

Dieser Typus von Therapeut hatte auch große Bedenken gegen die Einführung einer kassenfinanzierten, das heißt bargeldlosen Psychotherapie, die aber nun doch seit 50 Jahren erstaunlich gut funktioniert, und zwar mehr und mehr als eine gleichberechtigte Beziehungsform. Vielleicht ist es an der Zeit, überholte Symbole therapeutischer Vorrechte abzuschaffen, dort wo sie sich, wie zum Beispiel in einer Ausfallhonorar-Regelung, noch erhalten haben und im Erleben der meisten Therapeuten einen die Beziehung störenden Fremdkörper bilden.
In dem Moment, wo ich das sage, registriere ich freilich den idealistischen Anspruch an eine Welt, die sich zunehmend angewöhnt hat, alle Tätigkeiten in Kliniken und Praxen, in der Pflege und Kinderbetreuung etc. mit ständig wachsenden monetären Ansprüchen („Rendite“) zu verknüpfen, so wie es auch in der übrigen Erwerbswelt geschieht. Therapeut sein in einer neoliberalen Gesellschaft, die scheinbar nur die Alternative bereithält, sich zu den Losern oder den Gewinnern zu zählen: keine leichte Aufgabe, aber vielleicht doch eine lohnende Herausforderung. 

Prof. Gerd Rudolf,
HIP - Dozentenkreis


1 Kommentar:

  1. Doris Normann, HIP - externer Dozentenkreis8. Dezember 2016 um 20:03

    Danke für diesen erfrischenden Beitrag. Ausfallstunden oder deren Häufung werden ja u.a. auch mit Widerstand in Verbindung gebracht. Doch, wie Sie schreiben, mit Geld lässt sich nicht alles lösen, auch keine Klärung von Widerständen. Ist der Therapeut durch Geld besänftigt und hat der Patient mit unterdrücktem Ärger gebüßt ... ist eben doch noch nicht „alles klar“.
    Doris Normann, HIP – externer Dozentenkreis

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