Montag, 5. Juni 2017

» Beziehungsfeuerwerk ». Eine Anmerkung zu I.Yalom.






Als ich kürzlich im Krankenhaus lag, schenkte man mir sinnvollerweise ein Büchlein, das von der Psychotherapie lebensbedrohlich kranker und sterbender Patienten handelt (YALOM „Denn alles ist vergänglich“ [2016]). Der kalifornische Schriftsteller-Psychotherapeut
(Aufkleber auf der Titelseite: “Einer der einflussreichsten Psychoanalytiker der Welt“) hat bekanntlich in einem Dutzend Bücher seine Sicht auf die Situation seiner Patienten und das eigene therapeutische Vorgehen beschrieben. Ob seine Popularität auf dem Interesse von Patienten gründet, die sich einen solch tollen Therapeuten wünschen, oder auf dem von Therapeuten, die auch gerne so brillant wären, weiß man nicht. Gleichwohl fragte ich mich bei der anregenden Lektüre, wie wohl werdende Therapeuten auf dieses Feuerwerk von Interventionen reagieren und was sie daraus lernen können.

Die positive Seite: YALOM engagiert sich sehr intensiv und persönlich für seine Patienten. Dabei beschäftigt er sich in diesem Buch vor allem mit den existenziellen Problemen von Menschen, die in aktuellen Lebenskrisen stehen. Diese besondere Aufmerksamkeit für existenzielle Krisen, zum Beispiel Themen des Sterbens angesichts von schweren Krankheiten oder am Ende des Lebens, ist gewiss auch altersbedingt: der über 80jährige YALOM sieht sie, ich sehe sie auch. Für jüngere Therapeuten ist das Thema wahrscheinlich bei ihren Patienten schwerer nachvollziehbar, denn Empathie für menschliche Gegebenheiten, die vom eigenen Lebensalter und der eigenen sozialen Situation noch weit weg sind, ist bekanntlich nicht ganz leicht zu entwickeln.
Freilich gewinnt man darüber hinaus den Eindruck, dass es sich bei diesen Patienten nicht um psychisch Kranke mit definierten Störungen (wie zum Beispiel Persönlichkeitsstörung, Angst oder Depression) handelt, sondern um kreative, oft auch prominente Klienten, die einen ebenso prominenten Therapeuten für einige (offenbar sehr teure) Sitzungen aufsuchen. YALOM´s Ziel ist es, die erwähnten Krisen und Lebensprobleme in relativ wenigen Sitzungen zu bearbeiten. Als zentrales therapeutisches Mittel stellt er immer wieder seine humanistische Orientierung und speziell die „therapeutische Beziehung“ in den Vordergrund.
Ich stelle mir vor, dass jüngere Therapeuten diesen Autor als eine Art Wunderheiler ansehen, von dem sie sich möglicherweise etwas Wichtiges abschauen können. Was könnte das sein? Vorbildlich ist sicher sein starkes persönliches Engagement, sein hoher Grad der Aufmerksamkeit für die Mitteilungen des Patienten und seine Versuche ,den Fokus der aktuellen Problematik in kurzer Zeit zu verstehen. Was die erwähnte therapeutische Beziehung betrifft, so sind alle Psychotherapeuten bemüht, eine tragfähige, verlässliche, zugewandte Verbindung zu ihren Patienten herzustellen. Das ist freilich sehr viel schwieriger, wenn es sich z.B. um Patienten mit persönlichkeitsstrukturellen Störungen, Somatisierungsneigungen und eingeschränkten sozialen Kompetenzen handelt, die nicht durch ihre besonderen Lebensleistungen und ein charmantes Beziehungsangebot faszinieren können. Eine hilfreiche therapeutische Beziehung spiegelt sich meines Erachtens aber nicht in einem gemeinsamen Wohlgefühl, dessen man sich wechselseitig immer wieder versichert, sondern sie basiert auf der Tragfähigkeit des Therapeuten, der auch schwierige Mitmenschen annehmen, aushalten und über längere Zeit hinweg begleiten kann, indem er der Handhabung seiner Gegenübertragung besondere Beachtung schenkt. Es scheint mir nicht zweckmäßig, mit dem Patienten ständig über die Beziehung zu reden oder womöglich die kulturspezifisch kalifornische Art zu imitieren, nach der Patient und Therapeut sich bald nach dem Kennenlernen duzen und in der Vorstellung großer Offenheit in der Beziehung einander wechselseitig persönliche Erfahrungen offenbaren und einander rückblickend für  „befreundet“ erklären.

Die Situation der Krankenbehandlung in einer Langzeittherapie ist eine andere als die von YALOM beschriebene Krisenintervention mit humanistischen Zielvorstellungen bei besonderen Klienten. Die Krankenbehandlung hat nicht das Ziel, eine aktualisierte existenzielle  Krise rasch zu verstehen, sondern es geht therapeutisch darum, sich mit großer Geduld einem zunächst verborgenen Muster, einer tief sitzenden schmerzlichen Beziehungserfahrung und einer dysfunktionalen Einstellung anzunähern und sie der Selbstreflexion des Patienten zur Verfügung zu stellen, so dass er verantwortungsbewusst damit umzugehen lernt. Das ist ziemlich weit weg von dem intellektuellen Florettfechten, das YALOM beschreibt. Wenn man aber den Unterschied verstanden hat, kann man sich gegebenenfalls an den Texten des Autors erfreuen, ohne den Anspruch, es ihm irgendwann gleichzutun und die oft mühevolle, aber immer auch interessante eigene Arbeit durch ein YALOM´sches Beziehungsfeuerwerk und die erfolgreiche Beendigung in wenigen Sitzungen zu ersetzen.


Prof. Gerd Rudolf
HIP - Dozentenkreis

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen