Donnerstag, 22. November 2018

Die andere Seite des Berges - Replik auf "Bergsteigen lernen"



In „Bergsteigen lernen“ haben wir von der Autorin eine Seite der „leiseren“ Formen von Abstinenzverstößen zu lesen bekommen. So einleuchtend ich das finde und so richtig das auch ist, schien es mir beim Lesen spontan wichtig, diese Seite der leisen Abstinenzverstöße um noch eine andere, mir ebenso wichtig erscheinende Seite zu ergänzen! 
Denn die Argumentation der Autorin spielt aus meiner Sicht möglicherweise zu sehr in die Hände derer, die längere Behandlungen pauschal für unnötig oder gar schädlich erachten. Von den Krankenkassen mal ganz abgesehen. 
Ich möchte daher das Thema des narzisstischen Missbrauchs auch noch aus einem anderen Blickwinkel betrachten und ergänzen: 
Wie ist es denn, wenn Therapeuten manche Patienten z.B. aus einer Kränkung heraus wegschicken oder trotz Notwendigkeit eben nicht verlängern, ohne sich besonders um Reflexion der therapeutischen Beziehung zu bemühen oder Supervision/Intervision einzuholen? Ist das im weiteren Sinne nicht auch eine subtile Form narzisstischen Missbrauchs, auch wenn man an so etwas erstmal vielleicht nicht denkt? Denn da geht es ja schließlich auch primär um die narzisstischen Bedürfnisse der entsprechenden Therapeuten, und nicht primär um das Wohl des Patienten. Um mit solchen (dann als „schwierig oder „nicht therapiefähig“ deklarierten) Patienten weiterzuarbeiten, müssten sie potenzielle Schwierigkeiten in der Behandlung offenlegen, sie müssten sich eingestehen, dass es nicht einfach „die Pathologie“ des Patienten ist, die die Behandlung blockiert, sondern vielleicht (auch) eigene Überforderung, eine dem Patienten gegenüber unangemessene therapeutische Haltung oder Interventionstechnik. Schlicht und ergreifend – sie müssten sich mit einer potenziellen Kränkung auseinandersetzen, mit ihren eigenen Grenzen und Schwächen. 
Diese Art von Kolleginnen und Kollegen bleiben vielleicht eher unsichtbar, weil sie eben NICHT mit anderen KollegInnen, sei es in Intervisionen oder Supervisionen, über diese Schwierigkeiten sprechen. Weil sie froh sind, diese Patienten dann los zu sein und sich – ebenso wie die „rent a friend“-Kandidaten – auf andere Art auch nicht mit ihrem eigenen potenziellen „Scheitern“ auseinandersetzen müssen. Das wird dann wahrscheinlich oft rationalisiert. Letztlich kann man ja alles im Nachhinein irgendwie therapeutisch begründen, sofern es nicht offensichtliche Übergriffe oder Verletzungen ethischer Normen sind. Plötzlich wird aus einer Zwei-Personen-Psychologie bzw. „Beziehungs“-Psychologie doch wieder die alt bekannte und (mir meist eher verdächtige) Ein-Personen-Psychologie, in der alles dem Patienten zugeschoben wird. Und man selbst ist fein raus...


© MBar 2018
HIP - Ausbildungsteilnehmerin Jhg 2014

3 Kommentare:

  1. Sehr richtig!
    Ist alles nicht so einfach.

    AntwortenLöschen
  2. Neben dem subtilen Missbrauch, auch dem narzisstischen gibt es weitere, und ja, auch sexuelle Grenzverletzungen, die in Therapien stattfinden - übrigens nicht immer von Seite der Behandler. Dem Thema könnte ja schon mal eine Vorlesung gewidmet werden, oder?

    AntwortenLöschen
  3. Danke für Ihre Erwiderung auf meinen Text. Sie zeigt, dass ich selbst in Schlagseite geriet, während ich dabei war, etwas anderes gerade richten zu wollen... vielleicht auch ein beachtenswertes prinzipielles Phänomen, wenn man miteinander über Abstinenz diskutieren will.

    AntwortenLöschen