Sonntag, 14. Februar 2021

Hilflosigkeit, Resignation und das große „Trotzdem!“

Erfahrungen einer Psychodynamikerin im Klimaaktivismus

Vor ungefähr zwei Jahren, wohl mit der steigenden medialen Präsenz der Fridays for Future-Proteste, begann meine Abwehr zu bröckeln und mein Unbehagen angesichts des nahenden Endes der Welt wurde drängender. Als eine Kollegin mir dann vorschlug, sie zum nächsten Treffen der neugegründeten Scientists for Future (S4F) Heidelberg zu begleiten, kam mir das natürlich gelegen. Was könnte ich meiner Angst und meinem sich ebenfalls leise meldenden Schuldgefühl Besseres entgegensetzen als Aktivismus? 


So wurde ich Mitglied von S4F Heidelberg, einem Zusammenschluss von Heidelberger Forschenden, die die 4 Future-Bewegung von Seiten der Wissenschaft zu unterstützen suchen. In unserem E-Mail-Verteiler sind über 100 Menschen, zu unseren Treffen kommen im Schnitt vielleicht 12. S4F Heidelberg versucht, sich mit Vortragsreihen, Infoständen, Onlineaktionen oder Briefen an die Bunderegierung für mehr Klimaschutz einzusetzen, immer wieder ausgerichtet am großen Ziel der Emissionsreduktion. Im Plenum geht es
mal um technische Lösungen von der Entwicklung neuer Apps bis zum Umbau energieineffizienter Universitätsgebäude, mal um Aufklärungs- und Bildungsarbeit. Und das macht Sinn. Und all das sollte, muss getan werden. Und dennoch wurde ich mein Unbehagen nicht so richtig los.

Ohne dass ich es direkt hätte benennen können, entwickelte sich in mir das Gefühl, dass mir bei dieser Art der Auseinandersetzung mit der Klimakrise etwas fehlt. Temperaturkurven, Solarenergie und den Kohleausstieg zu diskutieren, schien mir merkwürdig unverbunden mit der katastrophalen Lage, in die sich die Menschheit manövriert hat. Irgendwann in dieser Zeit hörte ich in einem der vielen Klimaschutz-Podcasts ein Interview mit dem Journalisten Dahr Jamail, der die letzten Jahre damit verbracht hatte, ein Buch über die verheerenden Folgen der Klimakrise zu schreiben. In diesem Interview erzählt Jamail, wie er kurze Zeit zuvor einen guten Freund auf dem Sterbebett begleitet hatte und zieht Parallelen zu seiner persönlichen Auseinandersetzung mit der Klimakrise. Er spricht von den Ärzten, die immer wieder am Bett des Sterbenden auftauchen, Blutwerte berichten und neue lebensverlängernde Maßnahmen vorschlagen, dabei aber unverbunden mit der emotionalen Schwere des Moments bleiben. Er spricht von Trauer, Präsenz und von Unerschrockenheit und zum ersten Mal hörte ich, wie jemand, der sich auf die emotionale Tragweite der Situation eingelassen hat, über das Ende der Welt, wie wir sie kennen, sprach - über die Zerstörung von Leben und von unserem Zuhause. Ich stand weinend auf dem Bahnhofsvorplatz in Mannheim und glaubte, etwas verstanden zu haben.

In der Klimabewegung wird der „Gegenseite“ häufig Verdrängung oder gar Verleugnung vorgeworfen. Aber wenn wir ehrlich sind, ist bei diesem Thema kaum jemand frei von Abwehr. Dass wir lieber über Möglichkeiten der Emissionsreduktion sprechen als über unsere Angst vor den tatsächlichen Auswirkungen der Erderwärmung auf unsere Zukunft, dass wir lieber noch eine Arbeitsgruppe zur Nachhaltigkeit an der Uni gründen, um nicht dem Gefühl der Machtlosigkeit ausgeliefert zu sein und dass wir lieber auf Facebook hitzig mit „Klimaleugner*innen“ diskutieren, anstatt uns mit unserer eigenen Schuld zu konfrontieren, all das ist ein fettes Abwehrgeschehen. Ich nehme mich da selbst nicht aus. Aber gleichzeitig bin ich auch Psychodynamikerin und der Meinung, dass uns solche Mechanismen, so wichtig sie für das psychische Funktionieren sind, auch unfrei machen. Sie zwingen uns zum Abspalten und Abwenden und nehmen uns die Chance, uns bei den Händen zu fassen und mit offenen Augen und Herzen in den Abgrund zu schauen. Und wenn mir meine Gruppenselbsterfahrung eines gezeigt hat, dann wie wichtig und heilsam genau das sein kann.

Vielleicht könnte das meine Aufgabe sein? Ich hatte mich bei S4F immer wieder gefragt, was ich mit dem, was ich kann, wirklich Sinnvolles beitragen kann. Ich verstehe eigentlich kaum etwas von Klimaforschung oder wie politischer Aktivismus funktioniert. Selbst bei den Themen, die mir als Psychologin zugeschrieben werden wie Kommunikation oder Motivation zur Verhaltensveränderung, habe ich, wenn ich ehrlich bin, auch das Gefühl zu improvisieren. Aber mit abgewehrten Emotionen und wie man sie aushält, wie man ein Gefühl der Verbundenheit herstellt und einen Raum schafft, in dem Offenheit mit sich selbst und anderen möglich wird, damit kenne ich mich deutlich besser aus.

Während der Week for Climate 2019 bot sich dann eine Gelegenheit, meine Idee umzusetzen. Gemeinsam mit einem Freund und Kollegen entwickelte ich einen Workshop zur „emotionalen Auseinandersetzung mit der Klimakrise“. Und es kamen tatsächlich auch ein paar Leute, Klimaaktivistinnen, Neugierige und ein paar, die wohl eher so aus Versehen bei uns gelandet waren. Entsprechend spannend war es dann auch zu beobachten, was in dieser Gruppe passiert, wenn man sich zwei Stunden Zeit nimmt, um über die Klimakrise und ihre Bedeutung für das eigene Leben nachzudenken. Ein Teilnehmer war sich nicht so sicher, was die Klimakrise eigentlich bedeutet und erzählte, dass er eigentlich schon froh sei, wenn er es jeden Morgen pünktlich in den Zug und durch den Tag schaffe. Um so beeindruckter war er später, als die Teilnehmerin neben ihm aus dem Fenster auf den Wald und die Berge blickte und zu weinen begann. Ein anderer Teilnehmer erzählte von dem grausamen Gefühl, völlig allein mit seiner Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung angesichts des Zustands der Welt zu sein und zum Schluss von seiner Dankbarkeit, als er merkte, dass er es nicht war.

Seitdem habe ich den Workshop noch zweimal für Menschen von S4F Heidelberg angeboten. Beim ersten Mal erinnere ich mich vor allem an Suchbewegungen in der Gruppe: Wie viel will ich von diesen Gefühlen eigentlich überhaupt zulassen? Macht uns das nicht handlungsunfähig? Gleichzeitig wurde bei manchen Resignation und sogar Zynismus spürbar, als es darum ging, wie die Klimakrise sich wohl auf unsere Zukunft auswirken würde. Wir fantasierten über Öko-Kommunen und lachten darüber, wie unvorbereitet wir dafür wären, in einer durch Krieg und Umweltkatastrophen zerfallenden Welt zu leben. Das Wichtige blieb aber zum Schluss das „große Trotzdem“, das Weitermachen und sich nicht der Hoffnungslosigkeit hinzugeben. Beim zweiten Mal war es anders. An Corona hatten wir gesehen, wozu die Welt und die Politik fähig war, während der Regenwald seit Wochen brannte, ohne dass es jemanden zu interessieren schien. In der Gruppe ging es um Hilflosigkeit, Wut und um unsere Schuldgefühle. Und nein, es endete nicht in dem gemeinsamen Gefühl, dass wir doch noch was bewegen können, sondern im gemeinsamen Aushalten, dass wir es nicht können.

Je nachdem, wem ich davon erzähle, kann es passieren, dass mein Gegenüber es für unproduktiv bis gefährlich hält, einen Raum für Hilflosigkeit und Resignation im Kontext der Klimakrise zu schaffen. Die Sorge dabei ist, dass die Menschen dann aufhören könnten, sich zu engagieren. Aber müssen wir an unserer kollektiven Verleugnung festhalten, damit es überhaupt weitergehen kann? Ich will zumindest hoffen, dass das nicht der einzige Weg ist. Aber dafür muss es in uns und um uns Räume geben, in denen man sich an diese Gefühle heranwagt, sie anerkennt und aushält. Im besten Fall ist es danach vielleicht möglich, ein bisschen klarer zu sehen und dann vielleicht freier zu entscheiden, was man mit der Zeit, die bleibt, anfangen möchte und wer man in der Welt, wie sie ist, sein will. Und ist das nicht auch das, worum es bei Psychotherapie geht?

I would suggest that, with the right quality of attention, we may come to know what is right for us as individuals, and what we can usefully do. This doesn’t mean that all will be well. All will not be well. It doesn’t mean we will necessarily end up any less confused or conflicted, either. It doesn’t mean we will never again experience the despair of knowing what we have done and what we are still doing and of all the things we are losing and can never bring back.

But it does mean, or it could, that we are able to hold those feelings within us, to understand them and maybe reconcile them. It does mean that we can be done with denial and projection and false hope and false hopelessness. If we sit with the earth, with the trees and the soil and the wind and the mist, and pay attention, we may know what to do and how to begin doing it, whatever burden we carry with us as we walk.”

Aus „The Witness“ von Paul Kingsnorth


Nelly Monzer, Ausbildungsteilnehmerin Jhg. 2017

1 Kommentar:

  1. Danke für diesen Artikel, der benennt, was ich für mich noch nicht formuliert hatte.

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