Montag, 8. März 2021

Neujahrsempfang - oder: Von Viren- und anderen Übertragungen

Heute, an meinen ersten Arbeitstag im "Neuen Jahr", denke ich an meinen Lehranalytiker, der mir bei der Begrüßung ein "Gutes Neues Jahr" wünschte. Mag sein, ich schaute erstaunt, denn ich hörte die Ergänzung, dass es erlaubt sei, bis zum 7. Januar ein "Gutes Neues Jahr" zu wünschen.

Dass ich mich in der ersten Sitzung in meiner Praxis heute am 7. Januar an den Professor erinnerte, zu dem ich nach Tübingen reiste, um noch eine „richtige Lehranalyse“ zu absolvieren, erstaunt mich. Das ist lange her, und sicher gibt es hier noch eine unaufgelöste Übertragung. Aber was ist Übertragung? In der Psychoanalyse kann es sich um die Wiederholung infantiler Vorbilder handeln, die in einer Beziehung mit einem besonderen Gefühl von Aktualität erlebt werden kann. Und habe ich vielleicht vor vielen Jahren gedacht, der Lehranalytiker solle mir doch nicht auf solch persönliche Weise ein „Gutes Neues Jahr“ wünschen, wo bleibt da die „Abstinenz“? Hat er das an meinem Blick gemerkt? Deswegen die prompte, eher humorvoll unterlegte Erklärung des Professors?

Vielleicht ist hier meine Vaterübertragung von Bedeutung und ich habe mich vielleicht „mit dem Aggressor identifiziert“, bin eine Aufpasserin und schaue, was „richtig und was falsch“ ist? Wie früher mein Vater? Das wäre ein weiteres Thema. Ein Abwehrmechanismus? Zu den Abwehrmechanismen hat Anna Freud, die Tochter Sigmund Freuds, publiziert. Sie wird dafür ihre Gründe gehabt haben, lag sie doch bei ihrem Vater als Analysandin auf der Couch, heute unmöglich.

Ja, und was war heute an meinem ersten Arbeitstag? Ich hörte das Klingeln der Patientin, war noch eine Etage höher und drückte auf den Knopf, um Frau M. die Haustüre zu öffnen. Die Türe zum Wartebereich für die Praxis hatte ich offen gelassen, damit die Patientin nicht im Flur stehen muss. Als ich später nach unten kam, stand Frau M. mit Maske noch im kalten Hausflur... Und ich erstaunt: „Warum sind Sie nicht reingegangen?“ Ich hörte: „Das letzte Mal habe ich auch draußen gewartet, wegen Corona, weil im Wartebereich noch ein Patient Ihrer Kollegin saß.“

Es war zu erwarten, dass in der Sitzung die Macht des Vaters, der katholischen Kirche und die Macht der Ärzte, meine Macht als Therapeutin und nicht minder die Macht der Mütter, hier der Mutter und der Großmutter, Thema waren. Ich kann hier nur noch ein Machtwort des Vaters schreiben, das die Patientin nach Jahrzehnten gegen Ende dieser Sitzung erinnert: „Wenn ich sage, dass der Eimer voll ist, dann ist er voll, auch wenn kein Tropfen drin ist!“


Ja, wenn sie mir sagt... dass ich das letzte Mal doch gesagt habe... dann wagt Frau M. schon ihre Position zu vertreten, mir zu widersprechen, mich aufzuklären. Auch wenn dieses Mal der Wartebereich leer war. Aber ihren Trumpf holte die Patientin später aus der Tasche: Der Wartebereich war zwar leer, sie habe aber gesehen, dass der Patient der Kollegin auf die Toilette gegangen sei. Als ich kam, bat ich die Patientin sofort in meinen Praxisraum, um eine Begegnung in jedem Fall nicht möglich zu machen, wenn später noch ein Patient der Kollegin kommen würde. Also, das zu meiner Verteidigung hier.

Der Wartebereich ist klein, das zur Erklärung für Hinweise, dass doch ein Abstand von... reicht... Viele Väter und strenge Mütter sind aktuell in Coronazeiten unterwegs, um aufzuklären, was richtig und was falsch ist!


Renate Kremer
HIP Dozentenkreis
Psychoanalytikerin
Gruppenanalyse
Heidelberg



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