Mittwoch, 15. März 2017

Das psychodynamische EEG





Psychodynamische Theorien zu lernen ist ein echt lebhafter, manchmal auch aufwühlender Ritt quer durch das eigene Es, Ich und Über-Ich! 

Ich persönlich kann das ganz gut, manchmal sogar zu gut mit Libido besetzen. Da kommen dann heftigste Aggressionen hoch, wenn ich beim dritten Lesen etwas immer noch nicht kapiert habe, oder das Herz schlägt bis zum Anschlag
bei der Lektüre von abgefahrenen Texten, die ich irgendwann, irgendwo (warum auch immer, das vergesse ich meistens sowieso) aus den Tiefen der PSYCHE-Archive ausgegraben habe - und die längst keinen mehr interessieren.

Gleichzeitig klinkt sich dann immer noch das Über-Ich ein, dem es nicht schnell und perfekt und fokussiert genug gehen kann. Das schimpft dann aus dem zerebralen Off: „Was treibst du da eigentlich? Bevor du dich mit der Dechiffrierung von irgendwelchen Lacan-Texten abmühst, lies lieber mal eins von diesen ganzen teuren Lehrbüchern, die bei dir im Regal rumstehen!“ An wen mich diese Stimme erinnert, spreche ich lieber gar nicht laut aus (an meinen Vater…).

Und dazwischen hängt – wie immer – das schwache, kleine Ich, und will doch einfach nur irgendwann mal die Approbation schaffen und in Ruhe seinen Job machen, verflixt nochmal!

Das geht beim „Literaturstudium“ mit den Emotionen dauernd irgendwie rauf und runter, in jedem Text wird sich auf zwanzig andere Texte bezogen, jede Theorie verweist auf zwanzig andere Theorien, und dann kämpft man sich halt so durch das erkenntnistheoretische Labyrinth und versucht, sich nicht total zu verirren. Manchmal hat das doch was völlig Affektlabiles, wie man sich an dem einen Tag darüber freut, weil sich ein Knoten im Hirn gelöst zu haben scheint, und am nächsten möchte man am liebsten losheulen, weil da aus dem Knoten über Nacht, einfach so, ein ganzes Wollknäuel, ein ganzer Wollknäuelberg geworden ist! 

Da habe ich dann das Gefühl, meine Gehirnwellen rattern fröhlich im Millisekunden-Takt vor sich hin, der Schädeldruck steigt, aus den Ohren qualmt der Dampf, der Kopf steht entweder kurz vorm Kataklysmus oder Orgasmus – und dabei fühlt man sich so lebendig, oder nicht? Das liebe ich am Lernen psychodynamischer Theorien neben all der Zyklothymie, es ist so DYNAMISCH! Das erkenntnistheoretische Enzephalogramm der Psychodynamik kann locker mit dem elektronischen mithalten, es macht mindestens so viele Spannungsschwankungen durch, und basiert auch auf  unserer Gehirnaktivität (vielleicht sogar auf einer so viel tieferen Ebene). Ich habe mal grafisch aufbereitet, wie ich mir das im Verlauf der Jahre vorstelle: 

  



Bevor ich mich in den Sessel zurücklehnen und die Geschwindigkeit da rausnehmen kann, experimentiere ich jetzt erstmal weiter mit all den Knoten und Wollknäueln in meinem Kopf herum. Denn vielleicht geht‘s ja auch gar nicht darum, die ganzen Knoten und Wollknäuel zu lösen. Vielleicht sollte man sich daraus einfach seinen Lieblings-Kaschmir-Rollkragen-Pulli stricken, und sich über sein Strick-Geschick freuen!


© MBar 2017
HIP - Ausbildungsteilnehmerin Jhg 2014

2 Kommentare:

  1. Mein Ich, Es und Über-Ich fühlen sich von diesem göttlich geschriebenen Artikel gut beschrieben.

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  2. Einfach genial! Nicht nur der Text, sondern auch diese wunderbare graphische Aufbereitung. Auf die Idee muss man erstmal kommen. Köstlich!
    Was kann man als Nervenarzt und Psychotherapeut nicht noch alles hinzulernen!

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