Donnerstag, 30. August 2018

Fragen fragen III


Eine neue Patientin betritt Ihr Behandlungszimmer und Sie meinen ein gemurmeltes "Oh mein Gott!" und einen mitleidigen Blick auf Ihre Inneneinrichtung wahrzunehmen. Was würden Sie damit tun?


Nun, ich würde erst einmal gar nichts damit tun, sondern es auf meinen inneren Notizzettel schreiben. Wenn die Beziehung dann gefestigt genug scheint, würde ich im Verlauf scherzhaft - und dann, wenn ich intuitiv denke, dass das geht - jedenfalls mit etwas Humor so was sagen wie „Na, von meiner Einrichtung schienen Sie anfangs ja nicht gerade überzeugt gewesen zu sein!“ und dann sehen, wie der Patient reagiert. Ich nehme sowas ernst, aber würde nicht zu ernst damit umgehen. Stilfrage vielleicht, aber ich würde im Verlauf und mit einer tragfähigen therapeutischen Beziehung etwas damit machen. Was, käme drauf an.


30.08.2018
Dipl.-Psych. Natalie Manok,
Mitarbeiterin HIP Ambulanz,
ehem. Jhg. 2010




Ich kann mich nicht erinnern, dass eine neue Patientin oder ein neuer Patient so etwas gemurmelt  hat. Und meine Praxis ist alles andere als "ordentlich aufgeräumt", dazu auch noch und mit gehörig viel persönlichen "Merkmalen" ausgestattet. Denn da, wo es am hellsten ist, herrschen ja bekanntlich (nicht selten) die Fäkalien (frei nach Adorno). Bei mir könnten Patienten schon vor dem Betreten des sog. Behandlungsraumes "Oh, mein Gott!" seufzen. Da stapeln sich Bücher in einer alten Bibliotheksleiter, und einige liegen auch auf dem kleinen Tisch neben dem Stuhl, der ein kurzes Warten erlaubt. Ja, und vor allem Bilderbücher warten dort:  "Freud für Kinder" und "Auf der Couch". THE NEW YORKER Cartoons über Psychoanalyse. Titelbild: Sigmund Freud sitzt am Steuer und der Analysand liegt auf der Rückbank. Dann eines meiner Lieblingsbücher: „HiggeltiPiggelti Pop! Oder Es muss im Leben mehr als alles geben“ - Geschichten und Bilder von Maurice Sendak. Schließlich noch: „The Pious Infant Henry Clump“ by Mrs. Regera Dowdy; und auch vieles mehr zum Betrachten, zum Lesen. 
Und manche Patienten, die häufiger kommen, fragen dann nach einer Weile, ob sie eines der Bücher ausleihen dürfen. Da stimme ich doch freudig zu und denke an den bekannten "Handlungsdialog", der für die analytische und tiefenpsychologische Psychotherapie schon ausführlich von klugen Analytikern beschrieben wurde.
Also, ich freue mich über einen solchen Seufzer einer Patientin, die zum ersten Mal kommt, aber ich würde in einem Erstgespräch darauf nur eingehen, wenn sich ein sogenannter Widerstand etablieren würde, der nach einer Erhellung ruft, um dann vielleicht schon innerhalb von fünfzig Minuten der Patientin zu einem beglückenden "A-Ha"-Erlebnis zu verhelfen. Sie hätte etwas Neues über sich erfahren. Nicht selten von einem Murmeln, wie zu sich selbst, begleitet: "Ach so...?"..."Daran habe ich noch nicht gedacht ..."
Und ich frage ja zum Schluss des Erstgespräches, ob es noch etwas Wichtiges zu sagen, zu fragen gäbe, was nicht bis zum nächsten Mal warten könnte, falls ein zweites Gespräch vereinbart wird. Und danach noch: "Möchten Sie noch einmal kommen??" Ja, dann hat die Patientin die Möglichkeit, sich rasch nach einer besser aufgeräumten Praxis umzuschauen.



02.08.2018
Dr. med. Renate Kremer
HIP - Dozentenkreis
Psychoanalyse
Gruppenanalyse
Heidelberg





Die Fallvignette handelt von einer Kollegin, die “meint gehört zu haben“, dass eine neue Patientin beim Eintreten gemurmelt habe “Oh mein Gott!" und mitleidig auf die Inneneinrichtung schaute.
Das wäre vonseiten der Patientin ein skeptisches Signal bezogen auf die situativen Bedingungen der Behandlung-wobei Leute, die ständig “O my god“ murmeln, meist nicht aus besseren Kreisen kommen, sondern in der Regel zu viele schlecht synchronisierte amerikanische Serien-Filme im Fernsehen geschaut haben (das wäre meine skeptische Gegenübertragung auf die skeptische Patientin).
Und dann wäre noch meine Skepsis bezogen auf die Therapeutin, die etwas analytisch überidentifiziert meint, sich bereits über den ersten Seufzer der Patientin viele Gedanken machen zu müssen.
Andererseits ist es gut, wenn sie sich Gedanken macht: Ist die Patientin skeptisch bezogen auf die Therapie generell oder bezogen auf die Qualifikation der Therapeutin, die gezwungen ist, in so einem bescheidenen Zimmer zu arbeiten (in den TV-Serien sind die Therapiezimmer immer viel stilvoller).
Alles gut, weil alles richtig ist: Dies ist ein eher billiges Zimmer; das ist eine Anfängertherapeutin, die gezwungen ist, in dem bescheidenen Zimmer zu arbeiten; das ist eine skeptische Patientin, die alles das mit einem Blick registriert und durchlässig genug ist, es auch gleich zu sagen oder zumindest zu murmeln. Und da ist noch der Anspruch der Patientin, die signalisiert, “Wo bin ich denn hier gelandet, ich bin Besseres gewohnt.”
Nun ist die Therapeutin an der Reihe: Wie antwortet ihre Gegenübertragung auf dieses Beziehungsangebot der Patientin? Falls sie aus einfachen Verhältnissen stammt und sich insgeheim nach einer amerikanischen Praxis sehnt, wird sie beschämt reagieren und der Patientin recht geben: “Ja das stimmt, dies ist ein billiges Zimmer und ich bin keine großartige Therapeutin.”
Vor diesem Hintergrund wird sie sich vielleicht große Mühe geben, der Patientin etwas zu bieten (was voraussichtlich vergeblich sein wird, weil es um das narzisstische Problem der Patientin geht, nicht um ihr eigenes).
Wenn die Therapeutin hingegen mit ihrem Status und ihrem Zimmer einverstanden ist, wird sie die Mischung von Anmaßung und Hilflosigkeit ihrer Patientin spüren-und den Eindruck erst einmal aufbewahren.
Vielleicht bis zur 20. Stunde, wo die Patientin beginnt, von ihren Minderwertigkeitsgefühlen und Ansprüchen zu sprechen und die Therapeutin die Gelegenheit nutzt, zu sagen: “Dabei erinnere ich mich, wie Sie das erste Mal hier ins Zimmer kamen und sich skeptisch umgeschaut haben und ich glaube gehört zu haben “Oh  mein Gott!“ und ich dachte, das klingt echt verzweifelt aber auch ein bisschen unecht wie in einer Fernsehserie.“
Fazit: Therapeutinnen müssen nicht wie beim Tischtennis jedem Ping gleich ein Pong entgegensetzen, sondern dürfen warten, bis die Zeit reif ist, wo die therapeutische Situation es erlaubt, (in diesem Falle) über geheime Erwartungen, Vorweg-Enttäuschungen, Annäherungen, Zurückweisungen (in der Therapie/im Leben/in der Biografie) nachzudenken und zu sprechen.
Ab dann läuft es therapeutisch und hoffentlich ganz anders als in Fernsehserien.

28.05.2018
Prof. Gerd Rudolf,
HIP - Dozentenkreis




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