Montag, 1. Oktober 2018

Für mehr Bescheidenheit in der Psycho-Community




Wenn man Jahr für Jahr in Supervisionen, Intervisionen, Kasuistiken, Fokus-Runden, Teambesprechungen, Theorie-Seminaren und Fortbildungen sitzt, lernt man sehr viel Neues, sehr viel Interessantes, Bewusstseinserweiterndes, Aufrüttelndes, Spannendes und…man hört Kollegen reden.
Über Patienten. Über die Störung von Patienten. Und was sie mit dem „Therapeut machen“. Was sie nicht können, was sie vermeiden, was sie zerstören. Dann liest man Sätze in Arztbriefen wie „für seine strukturellen Fähigkeiten, kann er xy erstaunlich gut“, hört Kollegen entrüstet formulieren „da ist der Patient ja total oral-gierig. Der will ja immer nur nehmen“, „da bleibt er ja total in einer passiven Opferhaltung“, „da ist ja jede Mühe den Abfluss runtergespült“, „den kann man ja in seiner Männlichkeit nicht ernst nehmen“.
Natürlich versteht man, wo diese Affekte herkommen. Tag für Tag hockt man in 50-Minuten- Sessions Menschen gegenüber, die Dinge zerstören, Situationen vermeiden und der Therapeut hält aus, versteht, tut sein Bestes, um einzuordnen und verdaut zu markieren, zu verändern, zu helfen. 
Sauanstrengend. Und dann hat man Gott sei Dank die Supervisionen, die Intervisionen…
Aber manchmal bekomme ich dann doch das Gefühl, dass viele Therapeuten vergessen haben, dass sie auch nur ein Mensch sind. Dass sie auch nach 600 Stunden Lehranalyse in Vorträgen deutlich ihr narzisstisches Geltungsbedürfnis ausdrücken, leicht kränkbar sind, zu wenig emotionale Kontakte haben, weil sie sich nicht binden können, oder abends um 21 Uhr immer noch auf Station rumlungern, weil ihnen ihre zwanghafte Seite befiehlt, trotz 60 Überstunden den letzten Arztbrief auch noch rauszuschicken. Die in Pausen rauchen gehen oder so wenig essen und untergewichtig sind, dass sie von den magersüchtigen Patienten gefragt werden, „warum sollte ich zunehmen, wenn Sie doch so dünn sind wie ich“?
Ein bisschen mehr Bescheidenheit.


Elfrun Faude
HIP-Ausbildungsteilnehmerin Jhg. 2014

2 Kommentare:

  1. ein ganz wichtiger Punkt. Die eigenen Schwächen und Ecken zu sehen, macht uns sicher auch gütiger und geduldiger mit unseren Patienten. und ich meine, eine gelungene Lehranalyse ist eine, nach der man zwar einige Schwächen und Ecken von sich bewältigen konnte, aber eben auch klarer und demütiger sieht, wie viele man davon noch hat.

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