Ein Patient aus einer Einzeltherapie steht pünktlich zur 38. Sitzung unerwartet mit seiner Frau vor der Türe und fragt, ob sie heute mal mit ins Gespräch kommen könne. Was würden sie tun?
Zugegeben, bis vor meine Praxistüre brachte ein Patient eine Frau oder Ehefrau selten mit. Die Frage ist erlaubt, warum da eine Leerstelle in meinem sonst guten Gedächtnis ist? Dass Männer an einer Sitzung der Frau teilnehmen möchten, oder hin und wieder unerwartet in Begleitung der Ehefrau vor der Praxis standen, erinnere ich durchaus häufiger.
Zunächst ein Blick auf die Realitäten. Reichlich unbeliebt, aber gerade im psychotherapeutischen Setting für mich unerlässlich. Das kann nicht als allgemeine Empfehlung gelten, aber vielleicht als Anregung?
Unerwartet standen da hin und wieder zwei Personen, wenn ich die Türe zur Praxis öffnete, obwohl ich nur eine Person erwartete . Oft „brachte“ ein Mann „seine“ Frau, weil er der Fahrer des Autos war. Das ist für mich einfach: Ich habe kein Wartezimmer, zwar einen kleinen Wartebereich, und ich sage dann freundlich, „Sie können in etwa 50 Minuten wieder kommen und Ihre Frau dann treffen. Es gibt um die Ecke mehrere Cafés.“
Dann gibt es die Mütter, die ihre Söhne „bringen“ möchten. Sie rufen mich an. Kein Sohn kann bei mir von seiner Mutter einen Termin vereinbaren lassen. Aber das ist ein anderes Thema. Meine Patienten sind erwachsen.
Sollte es eine Mutter trotzdem schaffen, dann muss sie wieder gehen. Ich vergesse nicht, den Zeitrahmen für das Erstgespräch zu benennen und, wie schon erwähnt, ein nahe gelegenes Café zu empfehlen.
Häufig berichten Patienten, dass die Partnerin/Ehefrau mit in die Sitzung kommen möchte. Das ist einfach: „Sie und ich haben hier eine therapeutische Beziehung vereinbart, in der Sie offen über alles sprechen können. Eine dritte Person würde das verändern. Und ich bin keine Paartherapeutin.“ Sehr verkürzt.
Allen Ernstes, ich halte von Informationen, auch Fakten genannt, reichlich wenig. Die Begründung für „den Dritten“ ist häufig: „Meine Frau (mein Mann…) nimmt an, dass ich nicht alles sage.“ Um Himmelswillen, er oder sie muss doch nicht alles sagen, denke ich und verhalte mich entsprechend. Ich höre auf das, was gesagt wird. Von Fragen halte ich allemal nicht viel. Wird leider heute überschätzt.
Eine Begegnung mit einem besorgten Ehemann habe ich nicht vergessen. Eine nicht mehr junge Patientin kommt nach etwas zwei Jahren tiefenpsychologischen Therapie zu einer Sitzung. (Setting eine Sitzung wöchentlich). Es klingelt. Da ich niemanden erwarte, gehe ich ans Fenster meiner im Parterre gelegenen Praxis. Dort steht ein zierlicher Mann und sagt, er müsse unbedingt mit mir sprechen, seine Frau wolle sich umbringen, und sie sei jetzt bei mir. Ich drehe mich zu der Patientin um und sage: „Ihr Mann steht draußen und sagt, sie wollen sich umbringen.“ Ich wiederhole die Botschaft, und die Patientin in heftigem Tonfall: „Sagen Sie ihm, das ist übertrieben, ich will mich nicht umbringen. Er regt sich immer so auf“. Ich überbringe die Botschaft, leicht abgemildert im Inhalt, und schließe das Fenster. Kein Klingeln mehr, und kann hier nur kurz anmerken, dass sich zu meiner Erleichterung in den vielen Jahren meiner Tätigkeit als Psychoanalytikerin, Psychotherapeutin und Gruppentherapeutin noch nie ein Patient oder eine Patienten das Leben nehmen musste. Ich war auch bei der Indikationsstellung für ambulante Psychotherapie besonders vorsichtig.
Das ist noch einmal ein anderes Thema. Aber vielleicht kann ich mit diesem Fallbeispiel meine Gelassenheit vermitteln, aber auch den Respekt vor der Entscheidung derjenigen Person, die mit mir einen Behandlungsvertrag eingegangen ist.
Für mich war es bisher eine gute Erfahrung: die Entscheidung von Patienten, sich auf eine von Vertrauen und Respekt geprägte psychotherapeutische Zweierbeziehung einzulassen, auch unter Belastungen verschiedener Art nicht aufzugeben.
Und wie beschrieben, ich würde die Kostbarkeit dieser Beziehung nur unter wirklich lebensbedrohlichen Ereignissen opfern. Und auch, wenn es der ausdrückliche Wunsch von Patienten gewesen wäre, dann würde ich zuerst versuchen zu verstehen, was die bewusste und unbewusste Motivation für diesen Wunsch ist. Das braucht durchaus Zeit.
07.03.2020
Renate Kremer
HIP Dozentenkreis
Psychoanalytikerin
Gruppenanalyse
Heidelberg
Zugegeben, bis vor meine Praxistüre brachte ein Patient eine Frau oder Ehefrau selten mit. Die Frage ist erlaubt, warum da eine Leerstelle in meinem sonst guten Gedächtnis ist? Dass Männer an einer Sitzung der Frau teilnehmen möchten, oder hin und wieder unerwartet in Begleitung der Ehefrau vor der Praxis standen, erinnere ich durchaus häufiger.
Zunächst ein Blick auf die Realitäten. Reichlich unbeliebt, aber gerade im psychotherapeutischen Setting für mich unerlässlich. Das kann nicht als allgemeine Empfehlung gelten, aber vielleicht als Anregung?
Unerwartet standen da hin und wieder zwei Personen, wenn ich die Türe zur Praxis öffnete, obwohl ich nur eine Person erwartete . Oft „brachte“ ein Mann „seine“ Frau, weil er der Fahrer des Autos war. Das ist für mich einfach: Ich habe kein Wartezimmer, zwar einen kleinen Wartebereich, und ich sage dann freundlich, „Sie können in etwa 50 Minuten wieder kommen und Ihre Frau dann treffen. Es gibt um die Ecke mehrere Cafés.“
Dann gibt es die Mütter, die ihre Söhne „bringen“ möchten. Sie rufen mich an. Kein Sohn kann bei mir von seiner Mutter einen Termin vereinbaren lassen. Aber das ist ein anderes Thema. Meine Patienten sind erwachsen.
Sollte es eine Mutter trotzdem schaffen, dann muss sie wieder gehen. Ich vergesse nicht, den Zeitrahmen für das Erstgespräch zu benennen und, wie schon erwähnt, ein nahe gelegenes Café zu empfehlen.
Häufig berichten Patienten, dass die Partnerin/Ehefrau mit in die Sitzung kommen möchte. Das ist einfach: „Sie und ich haben hier eine therapeutische Beziehung vereinbart, in der Sie offen über alles sprechen können. Eine dritte Person würde das verändern. Und ich bin keine Paartherapeutin.“ Sehr verkürzt.
Allen Ernstes, ich halte von Informationen, auch Fakten genannt, reichlich wenig. Die Begründung für „den Dritten“ ist häufig: „Meine Frau (mein Mann…) nimmt an, dass ich nicht alles sage.“ Um Himmelswillen, er oder sie muss doch nicht alles sagen, denke ich und verhalte mich entsprechend. Ich höre auf das, was gesagt wird. Von Fragen halte ich allemal nicht viel. Wird leider heute überschätzt.
Eine Begegnung mit einem besorgten Ehemann habe ich nicht vergessen. Eine nicht mehr junge Patientin kommt nach etwas zwei Jahren tiefenpsychologischen Therapie zu einer Sitzung. (Setting eine Sitzung wöchentlich). Es klingelt. Da ich niemanden erwarte, gehe ich ans Fenster meiner im Parterre gelegenen Praxis. Dort steht ein zierlicher Mann und sagt, er müsse unbedingt mit mir sprechen, seine Frau wolle sich umbringen, und sie sei jetzt bei mir. Ich drehe mich zu der Patientin um und sage: „Ihr Mann steht draußen und sagt, sie wollen sich umbringen.“ Ich wiederhole die Botschaft, und die Patientin in heftigem Tonfall: „Sagen Sie ihm, das ist übertrieben, ich will mich nicht umbringen. Er regt sich immer so auf“. Ich überbringe die Botschaft, leicht abgemildert im Inhalt, und schließe das Fenster. Kein Klingeln mehr, und kann hier nur kurz anmerken, dass sich zu meiner Erleichterung in den vielen Jahren meiner Tätigkeit als Psychoanalytikerin, Psychotherapeutin und Gruppentherapeutin noch nie ein Patient oder eine Patienten das Leben nehmen musste. Ich war auch bei der Indikationsstellung für ambulante Psychotherapie besonders vorsichtig.
Das ist noch einmal ein anderes Thema. Aber vielleicht kann ich mit diesem Fallbeispiel meine Gelassenheit vermitteln, aber auch den Respekt vor der Entscheidung derjenigen Person, die mit mir einen Behandlungsvertrag eingegangen ist.
Für mich war es bisher eine gute Erfahrung: die Entscheidung von Patienten, sich auf eine von Vertrauen und Respekt geprägte psychotherapeutische Zweierbeziehung einzulassen, auch unter Belastungen verschiedener Art nicht aufzugeben.
Und wie beschrieben, ich würde die Kostbarkeit dieser Beziehung nur unter wirklich lebensbedrohlichen Ereignissen opfern. Und auch, wenn es der ausdrückliche Wunsch von Patienten gewesen wäre, dann würde ich zuerst versuchen zu verstehen, was die bewusste und unbewusste Motivation für diesen Wunsch ist. Das braucht durchaus Zeit.
07.03.2020
Renate Kremer
HIP Dozentenkreis
Psychoanalytikerin
Gruppenanalyse
Heidelberg
Mein Patient bringt zur 38. Sitzung seine Partnerin mit. Was mache ich?
• Ich könnte mich darüber ärgern, weil ich gewöhnlich keine Angehörigen sehe, und der Partnerin mehr oder weniger höflich die Tür weisen. Dies ist aber nicht der Fall in meiner Praxis.
• Ich könnte mich darüber ärgern, weil er es nicht mit mir abgesprochen hat und mich damit in Zugzwang bringt, eine möglicherweise unüberlegte Entscheidung zu treffen und die weitere Therapie damit zu gefährden.
• Ich könnte mich darüber freuen, weil ich den Patienten schon länger gebeten habe, die Partnerin einmal mitzubringen und es aus Dutzenden von Gründen nie geklappt hat. Wenn auch überraschend, hat er mir/haben sie mir damit einen Setting-Wunsch meinerseits erfüllt, den ich annehme. Warum dies nur auf eine solche Weise möglich war, besprechen wir später.
• Ich könnte noch vieles andere...
• Ich könnte auch - und dies wäre am wahrscheinlichsten - die Gelegenheit beim Schopf ergreifen, das Anliegen des Patienten oder von beiden gemeinsam zu klären. Ich würde also die beiden freundlich ins Wartezimmer geleiten, den Praxisraum für ein Paargespräch vorbereiten und beide dann hereinbitten. Um eine angemessene Rahmung der Situation herzustellen, würde ich mich zuerst bei der Partnerin für ihr Mitkommen bedanken, um dann den Wunsch zu äußern, das gemeinsame Auftauchen besser zu verstehen. Ich würde den zeitlichen Rahmen benennen (wahrscheinlich nur die Sitzungslänge, die für den Patienten bestimmt war) und dann eine klassische Auftragsklärung betreiben: Wie kommt es, dass Ihr Partner Sie heute mitgebracht hat? Wessen Wunsch war es? Wenn sie auf dem Mitkommen bestanden hat: Was wünschen bzw. erhoffen Sie sich von diesem Gespräch? Wenn er sie ‚mitgeschleppt’ hat: Was hat Sie bewogen, zuzustimmen? Was meinen Sie, wünscht er sich von diesem Gespräch? Ich hätte inzwischen lange genug mit dem ‚Gast’ gesprochen und würde den Patienten ebenfalls einbeziehen, der vermutlich längst selbst Stellung nehmen möchte: Sie haben gehört, was Ihre Partnerin geäußert hat. Stimmen Sie dem zu oder möchten Sie etwas aus Ihrer Sicht ergänzen? Durch die vorangegangenen 37 Sitzungen hätte ich natürlich schon Hypothesen gebildet, welchen Sinn und Zweck das Mitkommen der Partnerin haben könnte: Mir zu zeigen, wie schrecklich, stur, schwierig, selbstbewusst sie ist. Mir die Gelegenheit zu geben, ihr als Therapeut die Leviten zu lesen, was er ohne mein Zutun nicht erreicht. Oder die Partnerin möchte mir die Leviten lesen, weil die Therapie sich ungünstig auf die momentane Partnerschaft auswirken mag, weil sie findet, der Patient verschweige die eigentlichen Probleme und sie müsse mir mal reinen Wein einschenken, damit die Therapie den von ihr gewünschten Verlauf nimmt. Oder... Oder...
All diese Dinge wären möglich, ohne dass ich mir dessen vorher sicher sein kann. Mein Bestreben wäre deshalb, eine Atmosphäre zu schaffen, die den guten Willen aller an der Lösung der jeweiligen Probleme unterstellt. Fragen wie Was wäre für Sie ein gutes Ergebnis unseres heutigen Gesprächs?, die ich beiden stellen würde, könnten dazu beitragen, eine konstruktive Atmosphäre zu schaffen. Damit dies gelingt, braucht es vermutlich die halbe Sitzung. Die nächste halbe Sitzung würde ich dazu verwenden, gemeinsam zu überlegen, was unter den gegebenen Bedingungen (ein Auftrag konnte formuliert werden) sinnvollerweise als Nächstes unternommen werden sollte: eine weitere gemeinsame Sitzung, um die eruierten Inhalte zu besprechen? Das Anliegen des Paares ernst nehmen (neben der Einzeltherapie) und an eine Paarberatung/Paartherapie weiterempfehlen?
Angesichts der möglichen Optionen im Verlauf dieses Gesprächs lässt sich der weitere Verlauf sicher nicht bestimmen. Was mir aber eine nützliche Haltung - jenseits allen Übertragungs- Gegenübertragungs-Geschehens - zu sein scheint, wäre, das Mitbringen der Partnerin als eine Chance zu sehen, bisher noch nicht Verstandenes besser zu verstehen und daraufhin zu versuchen, Ressourcen zur Bewältigung der derzeitigen Schwierigkeiten anzustoßen und zu aktivieren.
07.02.2020 Ulrich M. Treiber,
Heidelberg
psychodynamische und systemische Weiterbildung
HIP - Dozentenkreis
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