Freitag, 9. April 2021

Wie wir uns geben - II. Die Einrichtung

Angestoßen durch Frau Normanns Artikel über das Containing möchte ich mich in zwei Artikeln mit dem beschäftigen, wie wir uns als Psychotherapeuten geben. Teil eins widmet sich unserer Kleidung, Teil zwei unserer Inneneinrichtung.

Wie wir uns geben - Die Einrichtung

Es gibt ja Bildbände über die Praxen von PsychotherapeutInnen. Wir reihen uns in unserem Stilbewusstsein und unserer nüchternen Sachlichkeit quasi direkt hinter (Innen-)ArchitektInnen, GrafikdesignerInnen und KünstlerInnen ein. So scheinen wir zumindest oft wahrgenommen zu werden – ich wollte uns auf jeden Fall so wahrnehmen. Ich hatte mal einen Bildband mit Fotos der Praxen von New Yorker PsychoanalytikerInnen in der Hand. Wurde auch Zeit. Endlich erkennt jemand, wie stilvoll wir sind. Es war eine leichte Enttäuschung zu lesen, dass der Fotograf selbst Analytiker ist.
Und dann gab es noch die Zeit, in der ich zur Untermiete einen Praxisraum suchte. Ich habe mir damals knapp ein Dutzend Praxen angesehen. Und auch später hatte ich noch die Möglichkeit, bei verschiedenen KollegInnen zu Gast zu sein: Analyse, TP, VT, Gestalttherapie, Systemische, Hypno. Ein bunter Strauß verschiedenster Stile. Hier möchte ich einige meiner Beobachtungen mit Ihnen teilen und wie üblich sind diese Beobachtungen rein subjektiver Natur.
Gibt es einen besseren Weg als Kunst, um mitzuteilen, dass man etwas vom Unbewussten versteht? Meines Erachtens nicht. Mir fallen gleich mehrere KollegInnen ein, bei denen Statuetten von einer Höhe von einem Meter oder mehr direkt im Praxisraum stehen. Meist nahe des Fensters und gut ausgeleuchtet. Eine mumienartige Figur mit tausend kleinen Worten darauf? Vielleicht eine in die Ferne blickende Frau auf einem Stuhl stehend? In Messing gegossen, brüniert. Das schreit doch danach, gleich ein paar Träume aufzuschreiben und in die Analyse einzubringen! Und nebenbei und natürlich vollkommen ohne Intention schürt es den Neid der Kollegen: Warum habe ich keine Statuette?!
Das traurige Gegenstück dazu scheint mir das Bilderpaar „Weg“ (wahlweise durch Heidelandschaften, Wald oder Feld) und „Steg“ (in den Varianten Karibik und Teich im Nebel) zu sein: Hier arbeitet niemand mit Träumen, hat vielleicht auch schon lang keine mehr. Eigentlich sollte man meinen, dass diese Sünde nur von den Inneneinrichtern von psychiatrischen und psychosomatischen Kliniken in den 70ern begannen wurde… aber nein, es soll sie vereinzelt noch geben.
Ein analytischer Klassiker scheint mir die Kategorie „Objekte indigener Völker“ zu sein. Das können Jagdspeere sein, meist bezieht es sich jedoch auf dunkle Holzmasken, Schnitzereien und Figürchen. Ich kenne Praxen deren Regale aussehen wie die Bilder in Wimmelbüchern für Kinder. Für mich funktioniert das Konzept: Sowohl in den Praxen als auch in den Wimmelbüchern. Ich habe mich allerdings nie getraut zu fragen, warum die Dinge dort stehen. Sammelleidenschaft und keinen Platz mehr zuhause? Die Sehnsucht, der Ethno-Psychoanalyse zugerechnet zu werden? Das Gefühl, in diesem Indigenen einen Ausdruck des Unbewussten zu finden, der uns abhanden gekommen ist?
Auch hier gibt es eine Abwandlung, wenn nicht gar eigene Kategorie: Nippes. Tand. Kleinkram. Nicht indigen. Häufig schöne Dinge. Manchmal erinnernd an die Dinge, die Kinder als Schätze ansehen würden (und die ich, zugegebener Massen, ebenfalls mag): Murmeln, schöne Federn, ein glatt geschliffener Flussstein, eine spannende Muschel, vielleicht ein knorriges Stück Holz. Oft findet man in solchen Praxen auch recht exaltierte Tassen. Oder Tassen aus einem ganz bestimmten Ton, der den Geschmack des grünen Tees/Mate/Quellwassers verbessert. Ich fürchte manchmal, dass der wesentliche Grund, warum ich solche Dinge nicht in der Praxis habe, der ist, dass ich seriöser erscheinen will. Trotzdem haben diese „Naturartefakte“ einen eigenen Reiz und sind scheinbar vor allem unter KollegInnen der humanistischen Tradition beliebt.
Ich halte es generell für merkwürdig, wenn sich TherapeutInnen (die nicht gläubig sind) zu offensichtlich religiöse Symbole in die Praxis stellen. Ich wäre skeptisch bei jemandem mit drei Kruzifixen und denke, es würde vielen so gehen: Steht hier der Patient im Vordergrund? Merkwürdigerweise oder vielleicht - trotz aller Globalisierung - wegen des mangelnden soziokulturellen Bezugs, erscheint es vielen Therapeuten adäquat, Buddhaköpfe neben Ganeshas aufzustellen. Ich war mal in einer verhaltenstherapeutischen Praxis, in der sieben davon standen. Es sollte ein Gefühl von Gelassenheit vermittelt werden. Ich war skeptisch.
Eine weitere Idee, auf die ich nie gekommen wäre, die aber bei HypnotherapeutInnen häufig zu sein scheint: das eigene Diplom/Approbation/etc. an die Wand zu hängen. Häufig gesehen in amerikanischen Ärzteserien. Soll den Rapport verbessern. Klappt vielleicht auch bei nicht AmerikanerInnen. Das White-Board/Flipchart der SystemikerInnen fand ich hingegen immer beneidenswert.
Nicht zu vergessen: Die Möbel selbst! Die ganze Mannigfaltigkeit der (etwas besser verdienenden) Menschheit findet sich hier. Von der „Vitra Praxis“, die quasi ausschliesslich aus handverlesenen Designklassikern besteht und dennoch versucht, Understatement auszustrahlen, über die pop art-Möbel, mit denen ich nie richtig warm geworden bin wegen der grellen Farben und der mangelnden Bequemlichkeit (von mir irgendwie assoziiert mit Sexualtherapie – deute das, wer will), bis hin zu dem vollkommen für sich selbst stehenden Symbol der Therapie: Die Liege.
Wie sehr die Liege für sich selbst stehen kann, habe ich bei einem meiner Lieblingssupervisoren begriffen. Im Behandlungsraum gab es zwei unauffällige Stühle und eine Liege aus schwarzem Leder. Um zu ihr durchzudringen, musste man Säulen von ausgedruckten Artikeln und Fachzeitschriften durchschreiten (einige tatsächlich hüfthoch). Was hier etwas messihaft anmutet, erschien mir in meiner Ausbildung als unglaublich cool. Das Wissen, die Liege und ich: BAAM. Therapie.
Wo wir grad bei Wissen sind. Es gibt ja zwei Dinge, die immer gehen: Bücher und Blumen. Ich denke, hier erübrigen sich Erklärungen.
Generell stellt sich mir bei all den Möglichkeiten die Frage: Für wen ist der Raum eigentlich eingerichtet? Für meine Patienten? Für mich als Therapeuten? Für mich, wie ich mir als Patient den Raum wünschen würde?
Ich arbeite noch an der Statuette. Das ist ernst gemeint. Ich habe eine Idee, Werkzeug und ein grösseres Stück Holz und schaue mal, wohin es führt. Solang muss ich mich mit Gedichtbänden und meiner Schreibmaschine begnügen. Immerhin die schönste Schreibmaschine, die je produziert wurde, finde ich. Und so steht sie auf meinem Schreibtisch in der Praxis. Sinnloser Weise. Aber irgendwie scheint es mir ganz nett, dass zumindest darin, wie wir uns einrichten, welche Bücher/Statuetten/Blumen/Möbel wir uns in die Praxen stellen, die Patienten ein ganz klein wenig von uns sehen – und gelegentlich über uns spleenige TherapeutInnen schmunzeln dürfen. Die Frage, wieviel in diesem Raum gezeigt werden soll und will oder auch nicht gezeigt werden will oder sollte, treibt eben nicht nur PatientInnen um.

Jan-Erik Grebe
HIP-Dozentenkreis
ehem. Jhg. 2010

1 Kommentar:

  1. Spannendes Thema!

    Ich habe mich beim lesen ertappt, dass ich meine eigene Praxis, die noch nicht existiert, schon seit paar Jahren im Kopf habe, dreidimensional, kann sogar eine virtuelle Führung dadurch machen.

    Wie weit ich dabei von meiner Approbation noch entfernt bin - darüber versuche ich nicht nachzudenken.

    Und für wen soll die funktionell-bequem-stilvoll eingerichtete Praxis entstehen? Für mich - als ein idealer Arbeitsplatz, ein Arbeitszimmer und ein Ort der Sicherheit für alle, die kommen.

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