Sonntag, 8. Mai 2022

Keiler und Bache

Sind Nachrichten, die ich über WhatsApp empfange, Begegnungen? Eine Freundin schreibt alles klein, und jetzt geht's los: 

"habe aus vollem herzen gelacht über das loriot-video. welch ein kundiger menschenbeobachter!  jetzt hast du die familie wieder vom halse - tut dir das gut? bei uns alles wie gehabt - sehr schön, wohnen weit oben am berg über dem see. gucken tagelang auf den see (nicht schlecht für die seele), schwimmen lange strecken, trinken mal `nen wein oder campari direkt am wasser -  wundervolles nichtstun! jetzt sind die hder freunde, die für die tagesstruktur sorge trugen, weggefahren - so chillen wir, das berg hinaufsteigen gelingt mir im nu, (...der Ehemann) mit seinen malaisen gar nicht mehr, so freuen wir uns ueber den flinken schmalen skoda, der die -  ein paar tage später, hatte vergessen weiter zu schreiben - schmalen bergstraße gut meistert! jetzt schwimmen (...der Sohn) (seit gestern hier und (...der Ehemann) gerade als einziger im see. ich sitze unter olivenbäumen und genieße die ruhe rundum. bis eben hat`s geregnet herzlich (...)”

Ich brauchte eine Weile, bis ich "hder freunde" als "Heidelberger Freunde"  lesen konnte.

Ja, ist das heute eine Begegnung mit der Freundin? Ich hatte das Loriot-Video geschickt. Titel: "Ich will hier nur sitzen". Sie: "Hermann, was machst Du da?” Er: “Nichts.”  Sie: “Wieso nichts?” Er: “Ich mache nichts.” Sie: “Gar nichts? Überhaupt nichts?” Er: “Nein, ich sitze hier.” Sie: “Du sitzt da? Aber irgendwas machst Du doch.” Er: “Nein!” Sie: “Denksst Du was?” Zu hören ist das eilige Hin- und Herlaufen der Ehefrau und Musik (von Johann Strauss?) Ist die Gattin in der Küche aktiv?

Ich denke an “Die Fähigkeit allein zu sein", eine frühe Arbeit von Donald L. W. Winnicott (1958).  Erst kürzlich las ich, dass der englische Kinderarzt und Psychoanalytiker häufig in den Sitzungen eingeschlafen ist. Winnicott ging nicht von der idealisierten Mutter aus, und mich begleitet häufig bei Begegnungen nicht nur mit Patienten in meiner Praxis der von ihm geprägte Begriff der “ausreichend guten Mutter”. "The good enough mother" ist in der Lage, so weit auf die Bedürfnisse eines Babys einzugehen, dass sich das Baby nie komplett verlassen fühlt.

Ja, ich bin kein Baby, und eine Freundin ist nicht meine Mutter. Aber was passiert in mir, was fühle ich, wenn ich 5 Tage nach meinem Loriot-Gruß die WhatsApp empfange und dann den besonderen Text lese. Ich habe die Freundin in der Ferne zum Lachen gebracht. Ich erinnere  meine Enttäuschung, als ich im Abschlussgespräch mit einer Analysandin hörte, dass für sie das Wichtigste in den analytischen Sitzungen das gemeinsame    Lachen war. Nun, über die WhattsApp der Freundin kann ich nicht lachen, schon gar nicht gemeinsam im "Hier und Jetzt".

Ja, ich glaube, dass die Begegnung mit einer Freundin, die eine WhatsApp schreibt "ausreichend gut" ist, wenn… Ja, wenn was? Wenn über zurückliegende Begegnungen Vertrauen entwickelt werden konnte. Und hier geht es um Gernhaben, das Winnicott als eine Ich-Bezogenheit beschreibt, während  Lieben  eine Angelegenheit von Es-Beziehungen  ist.

Zitat zum Abschluss: "Man kann sagen, dass Es-Beziehungen das Ich stärken, wenn sie im Rahmen einer Ich-Bezogenheit auftraten." (S. 349 in “Über die Fähigkeit allein zu sein”. Psyche XII  6/58, 344-352) Und ganz einfach geschrieben: Wer nicht zur Freundschaft fähig ist, hat es  vielleicht auch schwer zu lieben? Jetzt wird es spannend. Aber für heute genug und herzlich grüßt 

Renate Kremer
HIP Dozentenkreis
Psychoanalytikerin
Gruppenanalyse
Heidelberg

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