Freitag, 9. Juli 2021

Seelenkalender

Ein Abschiedstext erfordert eine Menge Antizipation. Wie ist es, wenn eine Person nicht mehr da ist? Letztlich wird das Fehlende erst dann klar, wenn es tatsächlich fehlt. Und wie in psychischen Strukturen merkt man häufig kaum, dass es da ist, solange es da ist: Die Kohärenz des Selbst spürt man eher, wenn sie beginnt, an den Rändern zu fragmentieren. Die Bedeutung eines Vaters oder einer Mutter häufig erst, wenn sie fehlen.
Frau Normann hat den HIP Blog im August 2016 ins Leben gerufen mit einem Artikel namens „Engels Entdeckung“ und einem auch für diesen Anlass recht passenden Bild, einer Torte mit der Aufschrift „In Memory“. Ganz diesem Artikel folgend mache ich einen Eintrag in meinen „Seelenkalender“ – allerdings nicht in roter Schrift.
Fünf Jahre lang war der HIP Blog unabdingbar mit Frau Normann verbunden. Ich erinnere mich noch, wie Frau Normann mich darauf ansprach, ob ich daran mitwirken möchte. Wenn ich mich recht erinnere, war das beim Sommerfest des HIP 2016. Ich weiß noch, dass mir die Idee gefiel und es mir als eine wundervolle Art erschien, auch aus meinem selbstgewählten Schweizer Exil mit dem HIP verbunden zu bleiben und dazu noch ein wenig „low key“ Texte schreiben zu können.
Ich erinnere mich aber auch daran, weil die Situation etwas Besonderes hatte: Ich kannte Frau Normann bisher nur als Dozentin und vor allem als Beisitzerin bei meiner mündlichen Abschlussprüfung, die zu diesem Zeitpunkt bereits zwei Jahre zurück lag. Wenige Berührungspunkte. Ich hatte sie im Kopf als zurückhaltend, profunde Theoretikerin und ausgestattet mit einem verschmitzten normann‘schen Schmunzeln, das gelegentlich aufblitzte, Amüsiertheit und ein Verständnis von etwas auszudrücken schien, dass sich mir manchmal entzog. Und was stets ein schönes Gefühl war: Den Eindruck zu haben, mit Frau Normann und im Redaktionsteam „pares inter pares“ zu sein. Kein Gefälle, kein Supervisorin – Supervisandin oder auch kein Beisitzerin – Prüfling. Ein sehr neues Gefühl, auch zwei Jahre nach Abschluss noch.
Meine Antizipationsfähigkeit ist begrenzt. Ich kann mir den Blog nicht ohne Frau Normann und ihren feinen Sinn für Text und Humor vorstellen. Ich werde herausfinden, wie es sein wird. Wie üblich im Leben wird es gehen und das derzeitige Redaktionsteam wird die Lücke füllen.
Was bleibt ist eine leichte Traurigkeit. Fünf Jahre schon rum? Da schaut man kurz weg. Ein neuer Eintrag im Seelenkalender.

Jan-Erik Grebe
HIP-Dozentenkreis
ehem. Jhg. 2010

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