Erfahrungen einer Psychodynamikerin im Klimaaktivismus
Vor
ungefähr zwei Jahren, wohl mit der steigenden medialen Präsenz der
Fridays for Future-Proteste, begann meine Abwehr zu bröckeln und
mein Unbehagen angesichts des nahenden Endes der Welt wurde
drängender. Als eine Kollegin mir dann vorschlug, sie zum nächsten
Treffen der neugegründeten Scientists for Future (S4F) Heidelberg zu
begleiten, kam mir das natürlich gelegen. Was könnte ich meiner
Angst und meinem sich ebenfalls leise meldenden Schuldgefühl
Besseres entgegensetzen als Aktivismus?
So
wurde ich Mitglied von S4F Heidelberg, einem Zusammenschluss von
Heidelberger Forschenden, die die 4 Future-Bewegung von Seiten der
Wissenschaft zu unterstützen suchen. In unserem E-Mail-Verteiler
sind über 100 Menschen, zu unseren Treffen kommen im Schnitt
vielleicht 12. S4F Heidelberg versucht, sich mit Vortragsreihen,
Infoständen, Onlineaktionen oder Briefen an die Bunderegierung für
mehr Klimaschutz einzusetzen, immer wieder ausgerichtet am großen
Ziel der Emissionsreduktion. Im Plenum geht es mal
um technische Lösungen von der Entwicklung neuer Apps bis zum Umbau
energieineffizienter Universitätsgebäude, mal um Aufklärungs- und
Bildungsarbeit. Und das macht Sinn. Und all das sollte, muss getan
werden. Und dennoch wurde ich mein Unbehagen nicht so richtig los.
Ohne
dass ich es direkt hätte benennen können, entwickelte sich in mir
das Gefühl, dass mir bei dieser Art der Auseinandersetzung mit der
Klimakrise etwas fehlt. Temperaturkurven, Solarenergie und den
Kohleausstieg zu diskutieren, schien mir merkwürdig unverbunden mit
der katastrophalen Lage, in die sich die Menschheit manövriert hat.
Irgendwann in dieser Zeit hörte ich in einem der vielen
Klimaschutz-Podcasts ein Interview mit dem Journalisten Dahr Jamail,
der die letzten Jahre damit verbracht hatte, ein Buch über die
verheerenden Folgen der Klimakrise zu schreiben. In diesem Interview
erzählt Jamail, wie er kurze Zeit zuvor einen guten Freund auf dem
Sterbebett begleitet hatte und zieht Parallelen zu seiner
persönlichen Auseinandersetzung mit der Klimakrise. Er spricht von
den Ärzten, die immer wieder am Bett des Sterbenden auftauchen,
Blutwerte berichten und neue lebensverlängernde Maßnahmen
vorschlagen, dabei aber unverbunden mit der emotionalen Schwere des
Moments bleiben. Er spricht von Trauer, Präsenz und von
Unerschrockenheit und zum ersten Mal hörte ich, wie jemand, der sich
auf die emotionale Tragweite der Situation eingelassen hat, über das
Ende der Welt, wie wir sie kennen, sprach - über die Zerstörung von
Leben und von unserem Zuhause. Ich stand weinend auf dem
Bahnhofsvorplatz in Mannheim und glaubte, etwas verstanden zu haben.
In
der Klimabewegung wird der „Gegenseite“ häufig Verdrängung oder
gar Verleugnung vorgeworfen. Aber wenn wir ehrlich sind, ist bei
diesem Thema kaum jemand frei von Abwehr. Dass wir lieber über
Möglichkeiten der Emissionsreduktion sprechen als über unsere Angst
vor den tatsächlichen Auswirkungen der Erderwärmung auf unsere
Zukunft, dass wir lieber noch eine Arbeitsgruppe zur Nachhaltigkeit
an der Uni gründen, um nicht dem Gefühl der Machtlosigkeit
ausgeliefert zu sein und dass wir lieber auf Facebook hitzig mit
„Klimaleugner*innen“ diskutieren, anstatt uns mit unserer eigenen
Schuld zu konfrontieren, all das ist ein fettes Abwehrgeschehen. Ich
nehme mich da selbst nicht aus. Aber gleichzeitig bin ich auch
Psychodynamikerin und der Meinung, dass uns solche Mechanismen, so
wichtig sie für das psychische Funktionieren sind, auch unfrei
machen. Sie zwingen uns zum Abspalten und Abwenden und nehmen uns die
Chance, uns bei den Händen zu fassen und mit offenen Augen und
Herzen in den Abgrund zu schauen. Und wenn mir meine
Gruppenselbsterfahrung eines gezeigt hat, dann wie wichtig und
heilsam genau das sein kann.
Vielleicht
könnte das meine Aufgabe sein? Ich hatte mich bei S4F immer wieder
gefragt, was ich mit dem, was ich kann, wirklich Sinnvolles beitragen
kann. Ich verstehe eigentlich kaum etwas von Klimaforschung oder wie
politischer Aktivismus funktioniert. Selbst bei den Themen, die mir
als Psychologin zugeschrieben werden wie Kommunikation oder
Motivation zur Verhaltensveränderung, habe ich, wenn ich ehrlich
bin, auch das Gefühl zu improvisieren. Aber mit abgewehrten
Emotionen und wie man sie aushält, wie man ein Gefühl der
Verbundenheit herstellt und einen Raum schafft, in dem Offenheit mit
sich selbst und anderen möglich wird, damit kenne ich mich deutlich
besser aus.
Während
der Week for Climate 2019 bot sich dann eine Gelegenheit, meine Idee
umzusetzen. Gemeinsam mit einem Freund und Kollegen entwickelte ich
einen Workshop zur „emotionalen Auseinandersetzung mit der
Klimakrise“. Und es kamen tatsächlich auch ein paar Leute,
Klimaaktivistinnen, Neugierige und ein paar, die wohl eher so aus
Versehen bei uns gelandet waren. Entsprechend spannend war es dann
auch zu beobachten, was in dieser Gruppe passiert, wenn man sich zwei
Stunden Zeit nimmt, um über die Klimakrise und ihre Bedeutung für
das eigene Leben nachzudenken. Ein Teilnehmer war sich nicht so
sicher, was die Klimakrise eigentlich bedeutet und erzählte, dass er
eigentlich schon froh sei, wenn er es jeden Morgen pünktlich in den
Zug und durch den Tag schaffe. Um so beeindruckter war er später,
als die Teilnehmerin neben ihm aus dem Fenster auf den Wald und die
Berge blickte und zu weinen begann. Ein anderer Teilnehmer erzählte
von dem grausamen Gefühl, völlig allein mit seiner
Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung angesichts des Zustands der Welt
zu sein und zum Schluss von seiner Dankbarkeit, als er merkte, dass
er es nicht war.
Seitdem
habe ich den Workshop noch zweimal für Menschen von S4F Heidelberg
angeboten. Beim ersten Mal erinnere ich mich vor allem an
Suchbewegungen in der Gruppe: Wie viel will ich von diesen Gefühlen
eigentlich überhaupt zulassen? Macht uns das nicht handlungsunfähig?
Gleichzeitig wurde bei manchen
Resignation und sogar Zynismus spürbar, als es darum ging, wie die
Klimakrise sich wohl auf unsere Zukunft auswirken würde. Wir
fantasierten über Öko-Kommunen und lachten darüber, wie
unvorbereitet wir dafür wären, in einer durch Krieg und
Umweltkatastrophen zerfallenden Welt zu leben. Das Wichtige blieb
aber zum Schluss das „große Trotzdem“, das Weitermachen und sich
nicht der Hoffnungslosigkeit hinzugeben. Beim zweiten Mal war es
anders. An Corona hatten wir gesehen, wozu die Welt und die Politik
fähig war, während der Regenwald seit Wochen brannte, ohne dass es
jemanden zu interessieren schien. In der Gruppe ging es um
Hilflosigkeit, Wut und um unsere Schuldgefühle. Und nein, es endete
nicht in dem gemeinsamen Gefühl, dass wir doch noch was bewegen
können, sondern im gemeinsamen Aushalten, dass wir es nicht können.
Je
nachdem, wem ich davon erzähle, kann es passieren, dass mein
Gegenüber es für unproduktiv bis gefährlich hält, einen Raum für
Hilflosigkeit und Resignation im Kontext der Klimakrise zu schaffen.
Die Sorge dabei ist, dass die Menschen dann aufhören könnten, sich
zu engagieren. Aber müssen wir an unserer kollektiven Verleugnung
festhalten, damit es überhaupt weitergehen kann? Ich will zumindest
hoffen, dass das nicht der einzige Weg ist. Aber dafür muss es in
uns und um uns Räume geben, in denen man sich an diese Gefühle
heranwagt, sie anerkennt und aushält. Im besten Fall ist es danach
vielleicht möglich, ein bisschen klarer zu sehen und dann vielleicht
freier zu entscheiden, was man mit der Zeit, die bleibt, anfangen
möchte und wer man in der Welt, wie sie ist, sein will. Und ist das
nicht auch das, worum es bei Psychotherapie geht?
„I
would suggest that, with the right quality of attention, we may come
to know what is right for us as individuals, and what we can usefully
do. This doesn’t mean that all will be well. All will not be
well. It doesn’t mean we will necessarily end up any less confused
or conflicted, either. It doesn’t mean we will never again
experience the despair of knowing what we have done and what we are
still doing and of all the things we are losing and can never bring
back.
But
it does mean, or it could, that we are able to hold those feelings
within us, to understand them and maybe reconcile them. It does mean
that we can be done with denial and projection and false hope and
false hopelessness. If we sit with the earth, with the trees and the
soil and the wind and the mist, and pay attention, we may know what
to do and how to begin doing it, whatever burden we carry with us as
we walk.”
Aus
„The Witness“ von Paul Kingsnorth
Nelly
Monzer, Ausbildungsteilnehmerin Jhg. 2017